Alle wissen es, wenige sprechen es offen aus: Die EU-Staaten fürchten sich vor den Roma aus Rumänien und Bulgarien. Ab Jahresbeginn dürfen Staatsbürger aus diesen beiden neuen EU Mitgliedsländern ungehindert in die Union einwandern und dort Arbeit suchen. Seither haben Großbritannien und Deutschland Maßnahmen getroffen, um Menschen, die nicht arbeiten können oder wollen (gemeint sind vor allem Roma), den Zugang zu Transferleistungen zu versperren.

Wer betrügt, der fliegt, nannte das der CSU-Vorsitzende Seehofer unverblümt. Andere reden etwas politisch korrekter von Vorkehrungen gegen "Sozialtourismus". In der Praxis kommt es auf dasselbe heraus: Man will keine Roma im Lande haben, denen man unterstellt, dass sie für die meisten infrage kommenden Arbeiten nicht qualifiziert sind und es für sich und ihre Familien vor allem auf die westeuropäischen Sozialleistungen abgesehen haben. Leserbriefschreiber fordern einen neuen Eisernen Vorhang. Inzwischen haben die Experten schon wieder Entwarnung gegeben: Der befürchtete Strom von Romamigranten ist ausgeblieben. Und unter den einwanderungswilligen Rumänen und Bulgaren sind außerordentlich viele hochqualifizierte Leute, nicht zuletzt Ärzte und Krankenschwestern, die den miserablen Arbeitsbedingungen in der Heimat entfliehen wollen.

Anders und abgelehnt

Kein Grund zur Panik also. Trotzdem sollten wir uns nichts vormachen: Die zehn bis elf Millionen Roma auf dem Balkan sind eine Herausforderung nicht nur für die Staaten, in denen sie leben, sondern für ganz Europa. Viel Geld ist in den letzten Jahren in Romaprojekte geflossen und viele Hilfsorganisationen haben sich ihrer angenommen. Manches ist gelungen, aber im Grunde ist diese einzigartige Volksgruppe geblieben, was sie immer war: anders und von der Mehrheitsbevölkerung abgelehnt. In seinem Buch Europa erfindet die Zigeuner hat der Literaturhistoriker Klaus Michael Bogdal vor kurzem die 600-jährige Geschichte der Romvölker in Europa nachgezeichnet, und zwar aus der europäischen Literatur von Spanien bis Russland.

Eine eigene Roma-Geschichtsschreibung gibt es nicht. Das Urteil der Einheimischen über die ewigen Fremdlinge ist immer gleich geblieben: Diebsgesindel, Gaunerbande, Bettlerpack, freilich auch Märchenvolk (Heinrich Heine), begnadete Musiker, unzähmbare Wandersleute. Dass die Bezeichnung Zigeuner, der ein romantisch-verklärender Beigeschmack anhaftet, mittlerweile durch das Wort Roma - der Name eines Stammes von vielen - abgelöst wurde, hat daran nichts geändert.

Die Roma sind die ärmsten Teufel des Kontinents. Wer ihre Elendssiedlungen in Osteuropa gesehen hat, kann ermessen, was die starke Präsenz dieser Volksgruppe für die Balkanländer bedeutet. Es ist heuchlerisch, der dortigen Mehrheitsbevölkerung Rassismus vorzuwerfen. Wir würden nicht anders reagieren. Aber die Menschenrechte sind nun einmal unteilbar. Wenn wir ein solidarisches Europa wollen, dann müssen wir auch akzeptieren, dass die Millionen osteuropäischer Roma dazugehören und Europäer sind wie wir. Wir werden mit ihnen leben müssen, ob es uns passt oder nicht. Keine Gesetze führen daran vorbei. (Barbara Coudenhove-Kalergi, DER STANDARD, 30.1.2014)