Dylan Farrows offener Brief, in dem sie Woody Allen erneut bezichtigt, sie als Kind missbraucht zu haben, gibt beklemmend Zeugnis von einer gequälten Seele. Als sie jüngst die Golden-Globe-Verleihung im Fernsehen gesehen habe, bei der Woody Allen für sein Lebenswerk ausgezeichnet wurde, habe sie sich zusammengerollt und hysterisch geweint, schreibt die verheiratete Mutter zweier Kinder. Sie bezichtigt Hollywood der vollkommenen Ignoranz: "Ich kann es nicht fassen, dass er (Allen) damit durchgekommen ist." Dieses "damit" beschreibt die 28-Jährige in einer Detailtreue, die frösteln macht.

Nun steht man, nicht nur in Hollywood, erneut vor dem Dilemma: Wie geht man um mit einem Menschen, der Geniales geschaffen, der aber möglicherweise ein Verbrechen verübt hat? Es kommt wohl auch darauf an, wie dieser Künstler selbst mit der Sache umgeht. In allen Fällen von Missbrauch und häuslicher Gewalt besteht die Gefahr der Täter-Opfer-Umkehr. In der Welt der "Celebs" ist sie umso größer, als sich jede Seite der vollen Aufmerksamkeit der Medien sicher sein kann. Der Druck ist so groß, dass jene 13-Jährige, die 1977 von Roman Polanski vergewaltigt worden sein soll, sich jahrzehntelang nichts sehnlicher wünschte, als dass über die Sache Gras wachsen möge. Wie hilflos muss sich ein Kind fühlen, das sich einem derart bekannten und umschwärmten Mann widersetzt.

Männer, die in Hollywood leben, reagieren auf Missbrauchs- und Vergewaltigungsvorwürfe zumeist nicht anders als "Normalos" anderswo: Es wird geleugnet, geschwiegen, die Glaubwürdigkeit der betroffenen Frauen zerstört. Woody Allen fällt nichts Nettes, gar Mitfühlendes zu seiner Adoptivtochter Dylan ein. Roman Polanski hat 36 Jahre gebraucht, um sich bei seinem Opfer zu entschuldigen. Das sollte man bedenken, bevor man reflexhaft wegschaut - und nur den Ausnahmekünstler sieht. (Petra Stuiber, DER STANDARD, 3.2.2014)