Bascha Mika: "Jede, die für eine Jüngere verlassen wird, denkt, das passiere nur ihr. Uns fehlt die Verbindung zum gesellschaftlichen System."

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Bascha Mika: Mutprobe. Frauen und das höllische Spiel mit dem Älterwerden
C. Bertelsmann Verlag
320 Seiten
Euro 18,50

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Das Altern trifft Frauen härter als Männer, weil sie sich dadurch weniger wert fühlen, kritisiert die deutsche Publizistin und Feministin Bascha Mika. Zu Unrecht, meint sie und fordert in ihrem neuen Buch Frauen auf, ein selbstbestimmtes Bild vom Älterwerden zu entwerfen.

dieStandard.at: Frau Mika, Sie sind im Jänner 60 Jahre alt geworden. Haben Sie Schwierigkeiten mit dem Älterwerden?

Mika: Es wäre gelogen zu sagen, dass es mich überhaupt nicht kümmert. Manchmal schaue ich morgens in den Spiegel und fühle mich wie eine 150-Jährige. Aber grundsätzlich hatte ich eigentlich nie Zeit,  mich mit dem Älterwerden zu beschäftigen.

dieStandard.at: Warum haben Sie nun ein Buch darüber geschrieben?

Mika: Ich bin nicht unmittelbar von eigenen Erfahrungen ausgegangen, sondern von Beobachtungen in meinem Umfeld. Ich kenne viele tolle Frauen, die attraktiv und beruflich erfolgreich sind. Aber nach der Trennung vom Partner finden sie keinen neuen mehr. Ich sehe auch immer mehr Frauen, die Angst vor ihrem 40. Geburtstag haben. Und schon 18-Jährige fragen ihre Mütter nach Antifaltencreme.

dieStandard.at: Sehen Sie dahinter ein System?

Mika: Eindeutig. Natürlich geht es um einzelne Schicksale und Biografien. Aber insgesamt ist der Druck für Frauen doch sehr viel stärker geworden. Sie sollen nicht sichtbar altern. Es ist also vor allem der Blick der Gesellschaft, der Frauen hässlich macht. Von ihnen wird erwartet, dass sie keine äußeren Spuren des Älterwerdens zeigen.

dieStandard.at: Sie zeichnen in Ihrem Buch einige deprimierende Szenarien. Nach der Lektüre fragt man sich: Wo sind die letzten 100 Jahre der Frauenbewegung geblieben? Ist das Äußere so wichtig?

Mika: Natürlich hat sich unendlich viel getan. Frauen haben privat und beruflich ganz andere Chancen, sind eigenständiger und selbstbestimmter. Doch beim sichtbaren Älterwerden gelten immer noch die uralten Muster. Begehrenswert ist die Frau, die jung ist, die also - wie es der französische Soziologe Pierre Bourdieu ausdrückte – 'erotisches Kapital' hat. Unser emanzipatorisches Gedankengut ist noch nicht beim Älterwerden angekommen.

dieStandard.at: Warum nicht?

Mika: Weil wir Frauen selbst dafür noch kein richtiges Bewusstsein  haben. Jede, die für eine Jüngere verlassen wird, denkt, das passiere nur ihr. Uns fehlt die Verbindung zum gesellschaftlichen System. Mit dem Älterwerden beschäftigen sich zwar Soziologen und Gerontologen, aber deren Erkenntnisse dringen nicht in die Gesellschaft vor. „Doing Aging" ist kaum jemandem ein Begriff.

dieStandard.at: Was meinen Sie damit?

Mika: Wir kennen mittlerweile „Doing Gender", wir wissen also, dass Geschlecht nicht nur etwas Biologisches ist, sondern auch von der Gesellschaft gemacht wird. Genauso ist es beim Altern. Klar, wir alle werden biologisch älter. Aber Frauen werden auch von der Gesellschaft alt gemacht.

dieStandard.at: Wo bemerken Sie diese altersbedingten Benachteiligungen?

Mika: Wenn Frauen älter werden und nicht mehr als so attraktiv gelten, dann wird das im Beruf mit mangelnder Leistungsfähigkeit gleichgesetzt. Das hört sich absurd an, ist aber wissenschaftlich erwiesen und hat vor allem messbare Nachteile. Älteren Frauen wird der Wiedereinstieg in den Beruf erschwert, sie bekommen nicht mehr so viele Möglichkeiten für Fortbildung. Der Status der Frau ist zudem stark an die Gebärfähigkeit geknüpft. Es gilt: Wenn Frauen keine Kinder mehr bekommen können, sind sie auch sonst weniger wert. Das ist eine männliche Sichtweise, aber viele Frauen haben sie verinnerlicht. Dieses höllische Spiel müssen wir beenden.

dieStandard.at: Welche Lösungen sehen Sie?

Mika: Frauen brauchen den Mut, ein selbstbestimmtes Bild vom Älterwerden zu entwerfen. Die Schriftstellerin Susan Sontag nannte es 'sich selbst imaginieren'. Weibliches Altern sollte funktionieren, ohne dass es von fremden, äußeren Bildern bestimmt ist. Wir Frauen müssen für uns selber die Normen entwerfen. Ich weiß natürlich, das ist verdammt schwer. Aber mit meinem Buch will ich dazu anspornen, diese Mutprobe zu wagen.

dieStandard.at: Gänzlich ignorieren kann man die Biologie nicht. Es sind nun mal jüngere Frauen, die Kinder gebären.

Mika: Ich bestreite, dass sich Männer nur eine Jüngere nehmen, weil sie eine Familie gründen wollen – vor allem, wenn sie schon eine haben. Es gehört seit Tausenden von Jahren zum männlichen Beuteschema und ist eine Machtposition. Männer, die in verschiedenen Generationen von Frauen wildern können, haben die größere Auswahl und damit mehr Macht auf dem Beziehungsmarkt. Über den 82-jährigen Medienunternehmer Rupert Murdoch schreiben die Gazetten, er sei derzeit der begehrteste Junggeselle New Yorks. Würde das jemand über eine 82-jährige Frau sagen?

dieStandard.at: Es normal zu finden, dass ältere Frauen jüngere Partner haben, kann man natürlich schwer verordnen.

Mika: Das ist eine Frage der gesellschaftlichen Bilder. Aber wir Frauen müssen uns auch an die eigene Nase fassen. Für viele von uns ist diese Konstellation nach wie vor ein Tabu. Da sollte man mal einen Moment nachdenken und sich fragen: Warum ist das komisch, wenn sich eine Frau das gleiche Recht herausnimmt wie ein Mann? Wenn es gesellschaftlich selbstverständlicher wird, dass ältere Frauen sich auch mit jüngeren Männern zusammentun, dann wird der Markt für die Frauen größer.

dieStandard.at: Wo wollen Sie noch Denkanstöße geben?

Mika: Gelegentlich denkt man auch als Frau, wenn man eine andere Frau sieht: Die könnte mehr für ihr Äußeres tun, warum versteckt sie ihren alternden Körper nicht dort, wo man ihm die Jahre ansieht. Da muss man sich schon klarmachen, dass wir damit  das männliche System unterstützen, das Frauen abwertet. (Birgit Baumann, dieStandard.at, 5.2.2014)