Gesucht wird: ein/eine international erfahrene(r) Politiker/in, dreisprachig (Englisch, Deutsch, Französisch) in Wort und in Schrift, gute juristische Kenntnisse, Wirtschaftswissen vorausgesetzt (ideal. ehem. Regierungschef), jedenfalls langjährige Erfahrung mit politischen Prozessen, für Chefposition in weltweit tätigem Unternehmen, rund 40.000 Mitarbeiter, 500 Millionen Direktkunden. Fünfjahresvertrag, 300.000 Euro brutto/Jahr, 70 Stundenwoche, exzessive Reisetätigkeit, Dienstauto, Chauffeur, alle Spesen.

So in etwa könnte die Stellenanzeige ansehen, wäre die EU-Kommission eine Firma und würde sie eine öffentliche Ausschreibung für den wichtigsten Posten in der Union - des Präsidenten der EU-Kommission - machen.

Aber die Kommission ist kein Unternehmen, bei dem man sich einfach so um den Topjob bewerben kann. Ihre Mitarbeiter sind Beamte, und die 500 Millionen "Kunden" sind die Bürger, auf deren Leben die EU-Zentrale und "Hüterin der EU-Verträge" große Auswirkungen hat.

Nominierung "alt"

Für einige Monate noch sitzt José Manuel Barroso im Chefsessel. Aber unmittelbar nach den Wahlen zwischen 22. und 25. Mai, bei denen die 751 EU-Abgeordneten bestellt werden, wird dann auch das Amt des Kommissionschefs neu besetzt. Dazu soll es laut dem Ständigen Ratspräsidenten Herman van Rompuy einen eigenen EU-Gipfel der Staats- und Regierungschefs in Brüssel geben. Sie sind es, die in dieser Frage traditionell den Ton angeben. Sie hatten das "Nominierungsrecht". So war es seit Jahrzehnten üblich.

Der von ihnen designierte Kommissionschef musste dann vom EU-Parlament bestätigt werden; er vergab die Posten, stellte "im Einvernehmen" mit den Regierungschefs die Riege der EU-Kommissare zusammen, und diese begannen nach der Wahl durch die EU-Abgeordneten ihre Arbeit.

Diesmal ist zwar nicht alles ganz anders, aber zwei, drei entscheidende Punkte doch. Die Wahl des Kommissionschefs ist unmittelbar an das Ergebnis der EU-Parlamentswahl gebunden. Mit dem EU-Vertrag von Lissabon (seit Ende 2009) bekam das EU-Parlament ein volles Mitentscheidungsrecht bei der Kür des Kommissionspräsidenten.

Neu: Im Lichte der Ergebnisse der EU-Wahlen

Die Regierungschefs müssen ihre Auswahl eines Kandidaten nun "im Lichte der Ergebnisse der EU-Wahlen" treffen, sprich: sie müssen berücksichtigen, welche Parteienfamilie die Wahlen gewonnen hat; wer die stärkste Fraktion im Parlament bilden kann; welcher Kandidat die Chance auf eine Mehrheit im Plenum hat.

Zusätzlich fiel mit dem Lissabon-Vertrag die bisherige Vorgabe, dass die Regierungschefs einstimmig entscheiden müssen. Nun reicht eine Zwei-Drittel-Mehrheit. Einzelne Regierungschefs haben also keine Möglichkeit mehr, jemanden per Veto zu blockieren, wie das die Briten 1994 und 2004 taten, weil die Bewerber (Jean-Luc Dehaene und Guy Verhofstadt, beide aus Belgien) ihnen allzu integrationsfreundlich erschienen.

Das allein wäre schon genug, um für Spannung zu sorgen. In den vergangenen Monaten hat sich aber ein zusätzlicher, in den EU-Verträgen und Wahlordnungen so gar nicht vorgesehener Prozess herauskristallisiert, der es den Wählern zumindest indirekt erlaubt, über den künftigen Kommissionspräsidenten mitzubestimmen.

Spitzenkandidaten bei Parlamentswahlen

Die Fraktionen und Parteifamilien kamen überein, dass sie jeweils einen Spitzenkandidaten bei den Parlamentswahlen aufstellen. Und das Lager mit den meisten Stimmen soll dann das Recht haben, seinen Kandidaten an die Kommissionsspitze zu bringen. Am schnellsten waren dabei die Sozialdemokraten, die mit Parlamentspräsident Martin Schulz ins Rennen gehen. Für die Liberalen tritt Verhofstadt (erneut) an. Die Grünen bringen eine Doppelspitze mit dem Franzosen José Bové und Ska Keller aus Deutschland. Die Linke schickt den griechischen Syriza-Chef und Euroskeptiker Alexis Tsipras an die Wahlfront.

Noch keine Entscheidung gibt es bei der stärksten Fraktion im EU-Parlament, den Christdemokraten. Favorit ist Ex-Eurogruppenchef und Expremier Luxemburgs, Jean-Claude Juncker. Aber auch EU-Binnemarktkommissar Michel Barnier hat sich beworben. Als Geheimtipp wird IWF-Chefin Christine Lagarde gehandelt. Aber ab sofort gilt in der EU: Alles Wahlkampf - auch um den Kommissionschef. (Thomas Mayer aus Straßburg, DER STANDARD, 6.2.2014)