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Hosni Mubarak, der am 11. Februar 2011 gestürzte Präsident, vor Gericht im April 2013: In einem Interview vor wenigen Tagen sagte er: "Die Leute wollen Sisi, und ihr Wille geschehe."  

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Gilbert Achcar: Sisi war gezwungen zu kandidieren. 

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Wien – Am 11. Februar 2011 wurde Hosni Mubarak gestürzt, drei Jahre danach steht der frisch gekürte Feldmarschall Abdel Fattah al-Sisi ante portas. Seine Kandidatur ist noch nicht offiziell, aber niemand zweifelt daran. Was wird Ägypten mit ihm für einen Präsidenten bekommen? Einen Militärherrscher, einen Mann, der an den nationalistischen Kitsch glaubt, der um seine Person verbreitet wird, einen echten Übergangspräsidenten?

Gilbert Achcar, Professor an der School of Oriental and African Studies (SOAS) der Universität London (bei einer Konferenz des Kreisky-Forums in Wien zu Gast), ist davon überzeugt, dass Sisi sich erst allmählich mit dem Gedanken anfreundete, Präsident zu werden: "Sisi ist ein Mann aus dem Militärgeheimdienst; er ist nicht dumm und weiß, dass die Macht beim Armeechef liegt, dem Posten, den er jetzt abgibt."  Als Präsident hingegen wird er Kritik ausgesetzt sein – vor allem, wenn er soziale und wirtschaftliche Leistungen schuldig bleibt.

Wäre es im vornherein festgestanden, dass Sisi bei den Präsidentschaftswahlen antritt, wäre die Rückversicherung, die sich die Armee in die neue Verfassung einbaute, gar nicht nötig gewesen: dass der Oberste Militärrat für zwei Präsidenten-Amtsperioden ein Vetorecht bei der Ernennung von Verteidigungsminister und Armeechef hat. Achcar sieht in der Frage von Sisis Nachfolge in diesen Ämtern auch den Grund, warum dessen offizielle Kandidatur so lange auf sich warten lässt: Erst wenn alles in seinem Sinn geregelt sei, könne er gehen. Dass es vor einiger Zeit Kandidaturgerüchte um den Generalstabschef bis August 2012, Sami Enan, gab, könnte auf eine interne Debatte hinweisen. 

Die Frage, warum Sisi dann überhaupt antrete, beantwortet Achcar so: Es gebe keinen Kandidaten, der die gewünschte Kontinuität für die Armee präsentiere und der gleichzeitig genügend populär sei. Die Alarmglocken läuteten – auch in Saudi-Arabien, den Protektoren und Financiers der neuen Ordnung – angesichts der Möglichkeit, dass Hamdin Sabbahi sich als Gewinner erweisen könnte. 

Sabbahi, ein linksgerichteter Nasserist, der sich von Sisi distanziert, war im Juni 2012 der drittstärkste bei den Präsidentschaftswahlen, die den Muslimbruder Mohammed Morsi ins Amt brachten. Sabbahi verkündete am Wochenende offiziell seine Kandidatur. In seiner Kampagne wird er wohl betonen, dass er auch die Revolution von 2011 vertritt – und nicht nur die von 2013. Sisi werde das mit Sicherheit aufgreifen und sich ebenfalls als Kandidat der Gesamtrevolution von 2011 und 2013 präsentieren und den Geruch der Restauration loszuwerden, sagt Achcar.

Auch wenn Sabbahi gegen Sisi chancenlos ist, hält Achcar diese Kandidatur für wichtig: Sabbahi verkörpere eine Alternative zwischen Militär und Muslimbrüdern. In Ägypten – aber nicht nur dort – müsse das binäre System gebrochen werden und sich eine dritte Kraft formieren, die die junge Generation repräsentiert.

Von außen gebe es den Eindruck eines riesigen Konsenses rund um Sisi, und tatsächlich seien im Juni/Juli 2013 alle muslimbrüderkritischen Kräfte zusammengeflossen, um Morsis irrationales, destruktives und kompromissunfähiges Regime zu beenden. Aber diese Einheit hat längst Risse. Beim Verfassungsreferendum im Jänner war die Wahlbeteiligung bei den jungen Menschen unterdurchschnittlich: "Nun mit Sisi dazustehen ist gewiss nicht das, was sie erreichen wollten, als sie gegen Mubarak protestierten" , sagt Achcar. 

Die größten Probleme für Sisi sieht Achcar nicht in der Polarisierung Ägyptens und der Terrorismusgefahr, sondern in den sozialen und wirtschaftlichen Pro­blemen. Radikale Änderungen oder völlig innovative Ansätze Sisis seien da eher nicht zu erwarten. Das bedeutet, die Enttäuschung ist programmiert.  (Gudrun Harrer /DER STANDARD, 11.2.2014)