Leises Gleiten durch die Stadt: Schienen werden in Kunststoff eingebettet. So werden Bahn und Bim für Anrainer erträglich.

Foto: Getzner

Fährt der Zug vorbei, dröhnt und scheppert es bis ins oberste Stockwerk. Die geplagten Anrainer rufen nach Lärmschutz - ein bekanntes Szenario an Bahntrassen. Verkehrslärm ist nach Luftverschmutzung der gesundheitsschädlichste Umweltfaktor, sagt die Weltgesundheitsorganisation WHO. Lärm stört nicht nur den Schlaf, er vergrößert laut WHO auch das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Lernstörungen und Tinnitus.

Wohnen in der Nachbarschaft von Zug und Bim muss nicht länger nervenaufreibend sein. Denn Lärm und Erschütterung, jene ungeliebten Emissionen, die Öffis für Anrainer so unsympathisch machen, lassen sich an der Quelle reduzieren. Dort, wo die Schwingungen, die Lärm und Vibration verursachen, entstehen. Eine der Lösungen: Verkehrsbetriebe betten ihre Schienen weich.

Wie das gehen könnte, zeigt das Vorarlberger Unternehmen Getzner. Mit Embedded Rail habe man eine Lösung gefunden, die Umwelt und Umfeld schont, sagt Harald Loy, Mitentwickler des leisen Schienensystems.

Getzner Werkstoffe in Bürs, "the good vibrations company", wie sich das Unternehmen nennt, bettet die Schienen nicht auf Daunen oder in Watte, sondern hüllt sie in einen Kunststoffmantel. Die eingebettete Schiene ist modular aufgebaut und schaut recht bunt aus: An die Schienenstege, zwischen Schienenkopf und Schienenfuß, werden leichte, aber widerstandsfähige Kammerfüllelemente aus Polyurethan angebracht. Über die Füllelemente kommt der markenrechtlich geschützte, elastische Polyurethanwerkstoff Sylodyn. Das gleiche Material, aber in anderer Stärke und Farbe, wird unter den Schienenfuß gelegt, quasi als Sohle. Das Ganze wird dann noch komplett ummantelt und abgedichtet.

Die horizontal und vertikal angebrachten elastischen Lager aus Sylodyn verhindern, dass die Schwingungen, die beim Befahren der Gleise entstehen, an die Umgebung weitergegeben werden. Loy: "Das Material ist volumenkompressibel, das heißt, man kann es von oben und unten zusammendrücken, es baucht aber nicht seitlich aus. Es braucht also keinen Platz für die Bewegung, ist in sich elastisch." Das geschlossene System vermindert die Belastung des Oberbaus, beugt der Schienenkorrosion vor und verhindert bei Straßenbahnen die Rissbildung in Straßenbelägen.

Das weiche Gleisbett spürt auch der Fahrgast, wie auf Teststrecken in drei deutschen Großstädten bereits nachgewiesen wurde. Der Zug oder die Straßenbahn läuft ruhiger. Durch die unterschiedlichen Stärken des elastischen Materials kann Lärm ganz nach Anrainerbedürfnissen reduziert werden. Führt die Trasse beispielsweise an einem Krankenhaus vorbei, werden ganz weiche "Sohlen" angebracht.

Vom Werkstoff zum System

Drei Jahre lang wurde an der Einbettung getüftelt. Ein Team aus Chemikern, Verfahrenstechnikern, Bauingenieuren und Physikern war an der Entwicklung beteiligt, 450.000 Euro wurden investiert.

Durch Umfragen bei Verkehrsbetrieben und Ingenieurbüros sammelte man die Wünsche an ein ideales System, erzählt Loy. Schließlich wurde aus der langen Liste ein Anforderungsprofil erstellt. "Schier unlösbar" schien die Aufgabe. "Wir haben da Neuland betreten", sagt der Bauingenieur, "und einen weiteren Schritt vom Werkstoffhersteller zum Systemlieferanten gemacht."

Getzner Werkstoffe wurde 1969 als Tochter des Textilunternehmens Getzner, Mutter und Cie. gegründet. 319 Beschäftigten (99 davon im Ausland) erwirtschafteten 2013 einen Umsatz von 65 Millionen Euro. 64 Prozent davon im Bahnbereich.

Mit Embedded Rail ist Getzner für den Staatspreis Innovation 2014 nominiert, der jedes Jahr vom Wirtschaftsministerium vergeben wird. Am 26. März wird der Staatspreisgewinner in der Österreichischen Akademie der Wissenschaften gekürt. (Jutta Berger, DER STANDARD, 19.2.2014)