Auch Karrierenforscher verstehen heute ganz genau, warum die Stiefmutter Schneewittchen kaltblütig in den Apfel beißen ließ, bloß weil der Spiegel dieses als Schönste lobte: Schönheit ist für Karriereerfolg und Glück äußerst wichtig. "Beauty Premium" heißt das erklärliche Wunder in der einschlägigen Wissenschaftsliteratur.

Überdurchschnittlich Hübsche verdienen um zehn bis 15 Prozent mehr als durchschnittlich Aussehende - das Aussehen hat also auf die Gage einen ähnlichen Effekt wie Rasse oder Geschlecht. Dabei geht es gar nicht um den individuellen Geschmack eines Personalentscheiders - die Sache mit der Schönheit ist interindividuell untersucht und belegt extrem hohe Übereinstimmung bei der Frage, wer der oder die Schöne sei. Damit lange nicht genug: Glatzköpfe kommen seltener an Vorstellungsgespräche heran, jeder Zentimeter überdurchschnittliche Körpergröße schlägt direkt positiv auf den Gehaltszettel durch.

Und wer es nicht schon längst vermutet hat, den bestätigt die Karrierenforschung schnell: Ja, wenn der Nachwuchs ankommt, dann werden Familienväter zu Mitarbeitern aus dem Vorgesetztenbilderbuch - berechenbar, belastbar, erpressbar, bereit zu viel mehr Überstunden. Mit Baby wird für Männer der Job wichtiger - Frauen haben somit die Kinder, Männer den Erfolg. Kurz: Wer Karriere machen will, der sollte heutzutage schon ein Mann sein - auch wenn sie eine Frau ist. Denn, das zeigt eine großangelegte Langfriststudie an WU-Absolventen: Objektiver Karriereerfolg (Einkommen, Hierarchie) hängt ganz stark mit dem Geschlecht zusammen. Schon beim Einstieg werden junge Akademikerinnen schlechter bezahlt. Kinder wirken für Frauen als Karrierebremse, für Männer als Tankstelle und Nachweis geordneter Verhältnisse. Heißt: Die ideale Karrierefrau ist Single, hat den Job mit überdurchschnittlichem Zeitinvestment als Lebensmittelpunkt und keine Karriereunterbrechungen (auch nicht zur Pflege von Angehörigen, auch nicht als Pause zum Nachdenken über Lebenswege). Aber - ebenfalls belegt: Selbst dann verdient sie meistens weniger als ihr männliches Pendant.

Ernüchternde wissenschaftliche Befunde. Aber: Macht und Geld allein machen ja nicht glücklich, auch das ist erforscht. Vielfältige Lebensentwürfe und Formen der Arbeit, globale Möglichkeitsräume, haben buntere Vorstellungen von Karriereerfolg gebracht. Der Raum zwischen den Sprossen der guten alten Karriereleiter wird spannender - allein die Aufstiegsgeschwindigkeit sagt noch wenig.

Auch ihr Neigungswinkel verändert sich. Objektiver Karriereerfolg (Einkommen, Hierarchie, Status) ist nicht mehr deckungsgleich mit subjektivem (Lebenszufriedenheit, Glück, Balance zwischen Beruf und privat): Reicher macht nicht unbedingt glücklicher, ärmer nicht unbedingt unzufriedener. Und da tauchen in der Karrierenforschung die Frauen als besonders interessante Spezies auf: Werden die Jobs prekärer, dann blühen die Frauen auf. Erfolgt die Beschleunigung im Job gleichzeitig mit dem Wachsen der Familie, dann wird der Job für Frauen wichtiger - sie halten mehr Turbulenz auf allen Fronten viel besser aus, erscheinen für die gegenwärtige Situation zunehmender Unübersichtlichkeit besser gerüstet.

Komplexität ist auch die Antwort, wenn es um das Erforschen der Karrieren- und Erfolgsgeheimnisse geht. Ein aus schlichten Meinungen gestricktes Rezept hat die Karrierenforschung bis heute nicht anzubieten, und es scheint auch gar nicht so, als gäbe es dieses Higgs (in der populären Naturwissenschaft gern "Gottesteilchen" genannt) überhaupt.

Klar ist aber: Wer Karriere machen will, muss überdurchschnittlich viel Zeit in den Beruf investieren. Vielarbeiter (57 Wochenstunden) verdienen 20 Prozent mehr als das breite Mittelfeld und sind hierarchisch obenauf. Solcherart Erfolgreiche legen wenig Wert auf Freizeit oder Auszeiten, sie orientieren sich definitiv nicht an fröhlichen Radiomoderatoren, die montags die Depression aufrufen und freitags das lang erwartete Wochenendglück. Männer können das besonders gut und zahlen auch ihren besonderen Preis: kein Job mehr, kein Leben mehr. Der genussvolle Ruhestand ist angstbesetzt, ein Jobverlust sowieso, und: Im Alter ist die Suizidrate von Männern vielfach höher als jene von Frauen.

Auch da haben Frauen im Gesamten gesehen die vorteilhafteren Karten - auch wenn das in diesem Zusammenhang und angesichts all ihrer Benachteiligungen fast zynisch klingt: Nach der "aspiration theory" ist für Zufriedenheit weniger die absolute Höhe des objektiven Wohlstandes ausschlaggebend, mehr die Differenz zwischen Erwartung und tatsächlichem Ergebnis. Wer mit weniger Erwartung auf eine steil aufgerichtete Karriereleiter herangeht, bricht sich weniger, wenn sie kippt, gar umstürzt.

Und das passiert heute häufiger - dreiteilig mit einer Ausbildung, einem Beruf und dann der Pension, spielen sich Karrieren nicht mehr ab. Karrieren werden zunehmend unplanbar, aus heiteren Himmeln unterbrochen - statt einer vorgezeichneten Laufbahn sind Karrieren mehr zu einem Glücksspiel geworden. Früher eindeutig erfolgsbestimmende Faktoren wie Intelligenz, Führungsmotivation, soziale Kompetenz, Herkunft und Netzwerk sind zu einem Teil des Bildes geschrumpft. Den restlichen Platz hat der Zufall des richtigen Zeitpunktes und richtigen Ortes eingenommen. (KARRIEENSTANDARDS, Oktober 2012)