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Angst vor Überwachung: Im EU-Projekt "Surprise" sollen Bürgermeinungen und Empfehlungen an die Politik gesammelt werden

Foto: Reuters

"Ich bin besorgt, dass meine persönlichen Informationen ohne meine Zustimmung weitergegeben werden", steht auf der großen Leinwand hinter der Bühne. Die etwa 230 Menschen, die in kleinen Gruppen um runde Tische in der Aula der Akademie der Wissenschaften in Wien sitzen, drücken auf handygroße Eingabegeräte, um diese Aussage zu bewerten. Kurz darauf spuckt das System das Ergebnis aus: 90 Prozent der Anwesenden stimmen der Aussage "voll" oder "eher" zu.

Insgesamt sind es 84 Fragen, die die Teilnehmer dieses "BürgerInnen-Forums" zum Thema Überwachung, Privatsphäre und Sicherheit an dem Tag beantworten. Umstrittene Technologien wie intelligente Videoüberwachung oder die Untersuchung des Internetdatenverkehrs per Deep Packet Inspection werden bei der Veranstaltung des Instituts für Technikfolgenabschätzung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) vorgestellt und in kleinen Gruppen diskutiert. Im Rahmen des EU-Projekts "Surprise" finden Bürgerforen desselben Zuschnitts in neun europäischen Staaten von Norwegen bis Italien statt. Auch das Nicht-EU-Land Schweiz ist dabei.

Bei der Wiener Veranstaltung kommen so verschiedene Menschen wie die Pensionistin Karola Bolzer und der Zivildiener Simon Salzer an einem Tisch zusammen. Was sie verbindet, ist Skepsis gegenüber den Big-Brother-Methoden. Salzer sagt, seine Familie befürchte, dass Versicherungen Zugriff auf die Elektronische Gesundheitsakte (Elga) erlangen könnten. Die Konsequenz: "Wir haben uns alle aus Elga austragen lassen." Bolzer dagegen schlägt eine Plattform vor, die zeigt, welchen Zweck Überwachungskameras in der Umgebung haben. Walter Windbichler, ebenso Pensionist und Diskutant am Tisch, teilt die Befürchtungen. "Ich lebe am Land, da sehe ich keine Kameras. In Wien fallen sie mir schon auf."

Missbrauch wahrscheinlich

Im Verlauf des Tages zeigt sich, dass deutlich über die Hälfte der Männer und Frauen verschiedener Altersgruppen, aus kleinen Ortschaften und größeren Städten, Angst haben, dass der Einsatz von überwachungsbasierten Sicherheitstechnologien ihre Privatsphäre aushöhlt. Über 80 Prozent neigen der Meinung zu, dass Missbrauch wahrscheinlich ist, sobald die Technologien eingeführt sind.

Die bunt zusammengewürfelte Schar an Ostösterreichern, deren Hiersein mit einer Aufwandsentschädigung abgegolten wird, sollen aber nicht nur Ängste und Meinungen preisgeben, sondern auch Empfehlungen an die EU-Politik richten. An einem Tisch möchte man etwa ein objektives Aufzeigen der Vor- und Nachteile der Überwachungstechnik von Brüssel einfordern.

Politiker sollen bei dem Thema ein vereintes Europa vorleben. Sie sollen auf Experten hören und nichttechnologische Lösungen in Betracht ziehen. Bereits ÖAW-Präsident Anton Zeilinger betonte in seiner Eröffnungsrede, dass Sicherheit nicht per se Überwachung und Überwachung nicht per se Sicherheit bedeute.

"Es ist das erste Mal, dass so viele Bürger in dieser Form zu dem Thema befragt werden", sagt Projektleiter Johann Cas. Die Möglichkeiten seien andere als bei Telefonumfragen. Moderatoren an den Tischen achten darauf, dass alle zu Wort kommen, und notieren wichtige Punkte oder Streitfragen. Findet man sich in den gemeinsamen Empfehlungen nicht wieder, kann die Meinung auf einer anonymen Karte deponiert werden, erklärt Cas. Die Fragen, die Stunde um Stunde an die Teilnehmer gestellt werden, spiegeln auch wider, wie sich Meinungen durch die Debatten verändern.

EU-Länder im Vergleich

Bereits ein Vorgängerprojekt versuchte ab 2005, Bürger und EU-Politiker abseits der Interessen der Wirtschaft kurzzuschließen. Die damals weitaus kleineren Veranstaltungen in fünf Ländern zeigten laut Cas etwa, dass die Akzeptanz von Sicherheitstechnologien in Ländern mit Terrorerfahrung wie Spanien nicht höher war als in anderen EU-Ländern, in denen es keine Anschläge gab.

Das neue Projekt soll zeigen, ob Sicherheit und Privatsphäre tatsächlich in einem Austauschverhältnis gesehen werden und welche Faktoren die EU-Bürger für die Beurteilung der Überwachungstechnologien heranziehen. Die Ergebnisse, die in einem vergleichenden Bericht im Herbst vorliegen werden, sollen in Publikationen und Diskussionen an die Politik und die Öffentlichkeit herangetragen werden.

Zudem soll bei dem Projekt ein Verfahren entwickelt werden, mit dem durch ähnliche Erhebungen in kleinerem Maßstab die Stimme der Bürger gehört werden kann. Cas: "Wir entwickeln eine Methodik, mit der relevante Sichtweisen schneller und einfacher berücksichtigt werden können." Vielleicht ändert sich dann irgendwann auch die Meinung von Frau Bolzer. Sie sagt: "Die Politiker hören uns überhaupt nicht zu." (Alois Pumhösel, DER STANDARD, 26.2.2014)