Mentoring wirkt. Wir wissen aus Studien: Mentoring hat vielfältige positive Effekte, z. B. auf Einkommen, Zufriedenheit oder organisationales Commitment. Weniger erforscht sind die vielfältigen Konstellationen hinter diesen positiven Wirkungen. Hier setzt eine Studie aus den USA an. Sie analysiert die typische Art von Mentor-Mentee-Beziehung - erfahrener älterer männlicher Mentoren, jüngere Mentees - und differenziert nicht nur nach weiblichen und männlichen Mentees, sondern auch nach zwei grundverschiedenen Kontexten: gender-neutrale vs. maskuline Berufsfelder. Beispiele für Ersteres wären etwa Architektur oder Versicherung; für Letzteres z.B. Transport oder Bauwirtschaft.

Zunächst vergleicht die Studie die Einkommen von Personen mit und ohne Mentor. Hier zeigt sich das erwartete Ergebnis. In allen Berufsfeldern verdienen Personen mit Mentor mehr als Personen ohne. Die Unterschiede bewegen sich dabei zwischen 20 und 63 Prozent. Dabei ist die Kausalität nicht ganz klar: Ist der höhere Verdienst ein Ergebnis von Mentoring oder wählen Mentoren die Personen aus, die schon auf einem Fast Track sind? Vermutlich ein wenig von beidem.

Der Gap kehrt sich um

Interessant wird die Analyse beim Vergleich der beiden Berufsfelder. Im genderneutralen Berufsfeld und ohne Mentor verdienen Männer insgesamt rund zwölf Prozent mehr als Frauen - bei der Gruppe mit Mentoren bleibt ein Einkommensunterschied zwischen den Geschlechtern bestehen. Allerdings ist er mit sieben Prozent deutlich kleiner. Noch stärker ist dieser Effekt in maskulin geprägten Berufsfeldern. Hier beträgt die Differenz im Einkommen zwischen Männern und Frauen ohne Mentoren 28 Prozent. Bei der Gruppe der Mentees allerdings geschieht Erstaunliches - es verringert sich der Gap nicht nur, sondern kehrt sich sogar um: Frauen verdienen um sechs Prozent mehr als Männer. Mehrere Erklärungen für diesen starken Effekt von Mentoring sind plausibel.

Zunächst ist von einer selbsterfüllenden Prophezeiung auszugehen. Wenn Frauen in maskulinen Berufsfeldern in der Lage sind, Mentoren anzuziehen, dann signalisiert das der Umwelt in mehrfacher Hinsicht: Diese Frau ist etwas Besonderes. Dazu kommt, dass Mentoren in einer solchen Konstellation in besonderer Weise unter Beobachtung stehen. Sie strengen sich daher - im ureigenen Interesse - besonders an, dieses "Projekt" erfolgreich zu machen. Schließlich treten Selektionseffekte auf. Frauen, die es in maskulinen Berufsfeldern bis zu einer Position gebracht haben, wo sie für Mentoring infrage kommen, haben bereits mehrfach unter Beweis gestellt, dass sie besonders geeignet, durchsetzungsfähig und erfolgreich sind. Über Mentoring hinaus weist diese Studie aber auch auf die Bedeutung von Kontext in der Analyse und praktischen Gestaltung von Karrieren hin. Rethink Careers heißt damit: Karrieren sind nicht nur das Ergebnis individueller Anstrengung und glücklicher Fügungen. Sie sind auch das Ergebnis kontextueller Regelmäßigkeiten - und diese gilt es zu beachten. Sonst dominieren Mythen und Wunschvorstellungen statt Tatsachen das individuelle und organisationale Karrieremanagement. (Wolfgang Mayrhofer, DER STANDARD, 1./2.03.2014)