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Polarlichter über der Erde, aus der Sicht der Internationalen Raumstation ISS. Die Aurora ist nur eine Auswirkung des Weltraumwetters auf der Erde.

Foto: REUTERS/Andre Kuipers/ESA/NASA

In dem Schachtsystem in 50 Metern unter der Erdoberfläche ist eine störungsfreie Messung des Magnetfeldes garantiert.

Foto: Michael Grühbaum

Eine schmale, vereiste Forststraße schlängelt sich den Berg hinauf. Rundherum nichts als Wald, nur kurz blitzt zwischen den Wipfeln der nahe Schneeberg hervor. Hierher, auf den Trafelberg bei Muggendorf unweit des Piestingtals, verirrt es so gut wie keine Wanderer. Die Jagd ist verboten, Handynetz gibt es keines.

Oben, auf etwa 1100 Metern, kann man das monotone Fiepsen einer Wetterstation kaum aus dem Gezwitscher der Vögel heraushören. Es ist die ruhige, abgeschiedene Lage, die den Ort in Niederösterreich so ideal für ein Observatorium zur Beobachtung der Vorgänge im Erdinneren macht.

"Hier sind wir fernab jeglicher elektromagnetischen Störquellen", sagt Roman Leonhardt, Leiter und einziger Angestellter des Conrad-Observatoriums der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG). "Außerdem besteht der Berg aus Wettersteinkalk, eines der wenigen nicht magnetischen Gesteine."

Zwei Stollen durchziehen den Trafelberg: Einer wurde bereits 2002 eröffnet und beherbergt Messstationen, die Erdbeben in aller Welt und kleinste Veränderungen der Schwerkraft registrieren. Etwas weiter oberhalb wurde nun ein neuer Tunnel fertiggestellt und vergangene Woche von der Bundesimmobiliengesellschaft (BIG) an die ZAMG übergeben. Das geomagnetische Observatorium soll Daten über das Magnetfeld der Erde zutage fördern – mit bisher unerreichter Genauigkeit.

Etwa 6000 Kilometer Durchmesser hat der Erdkern, und darin brodelt flüssiges Eisen. Die dadurch entstehenden Strömungen bestimmen die stetig wechselnde Ausrichtung und Stärke des Magnetfelds, das den Planeten umgibt. Diese Schwankungen zu messen und daraus Schlüsse zu ziehen ist Ziel geomagnetischer Messstationen, die über den ganzen Erdball verteilt sind. "Ohne das Magnetfeld würde es kein Leben auf der Erde geben", sagt Leonhardt. "Es ist unser Schutzschirm gegen solare und kosmische Strahlung."

Das Magnetfeld unterliegt nicht nur inneren Schwankungen, es wird auch von außen beeinflusst – durch Sonnenstürme, die geladene Partikel in Richtung Erde schleudern. Im besten Fall bringt das weithin sichtbare Polarlichter, im schlechteren Stromausfälle und Störungen in Navigations- und Kommunikationssystemen.

"Wir steuern derzeit das nächste Maximum solarer Aktivität an", sagt Leonhardt. Heuer oder nächstes Jahr dürfte sich das Magnetfeld der Sonne umpolen, wodurch der magnetische Südpol zum Nordpol wird und umgekehrt. Das passiert etwa alle elf Jahre – und lässt auch das Erdmagnetfeld nicht ungerührt. Ein extra angefertigtes "Supergradiometer" und bis zu 200 Meter in den Fels eingelassene Sensoren spüren jede noch so winzige Feldänderung auf. Die Daten werden an die Europäische Weltraumagentur (Esa) und andere Organisationen weitergeleitet. "Wenn wir das Phänomen besser verstehen, könnten Messungen direkt in die Stromnetze integriert werden", sagt Leonhardt.

Konstante Temperaturen

Die Hightech-Apparaturen, äußerlich komplett unspektakulär, wirken fast verloren in dem insgesamt einen Kilometer langen Schachtsystem. 400 Meter misst der grob in den Stein gehauene Haupttunnel. In 50 Metern unter der Erdoberfläche pendelt sich die Temperatur automatisch auf das Jahresmittel ein, das sind hier in etwa sechs Grad.

Um die extrem empfindlichen Geräte nicht abzulenken, wurde in der ganzen Station kein Eisen verbaut, welches möglichst durch Holz, Kunststoff, Aluminium und Messing ersetzt wurde. Ist das geomagnetische Observatorium erst in Vollbetrieb – voraussichtlich Ende dieses Jahres -, dürfen die Stollen nur mehr in Ausnahmefällen betreten werden, etwa um Experimente aufzubauen.

Der "Absolutstollen" am Ende des Tunnels steht auch für internationale Forschungsprojekte zur Verfügung. Derzeit wird dort ein Prototyp zur automatischen Erfassung des Magnetfelds getestet, der in Polarregionen oder am Grund der Ozeane eingesetzt werden könnte. Exakte magnetische Karten sind nicht nur für die Navigation von Flugzeugen und Schiffen unerlässlich, auch die Ölindustrie ist höchst interessiert. "Bei der Suche nach Bodenschätzen wird die Bohrrichtung oft über das Magnetfeld der Erde bestimmt. Hier haben bereits kleine Ungenauigkeiten in der Magnetfeldmessung große Auswirkungen auf die Bohrgenauigkeit. GPS-Navigation ist so tief in der Erde nicht möglich", erläutert Leonhardt.

Die Forscher wollen jedoch noch tiefer in der Erdgeschichte bohren: Denn auch unserem Planeten könnte wieder einmal eine Polumkehr bevorstehen. Im Schnitt passiert das etwa alle 250.000 Jahre, die letzte Umkehr ist jedoch schon rund 780.000 Jahre her. Aufzeichnungen über das Magnetfeld gibt es allerdings erst seit gut 200 Jahren – ein Klacks in Relation zu den Jahrmillionen, in denen die Geophysiker denken.

Seit Beginn der Messungen nahm die Feldstärke um zehn Prozent ab. Auch die Richtung des Magnetfelds änderte sich deutlich: In Europa weicht der magnetische Nordpol mittlerweile um etwa 20 Grad vom geografischen ab. "Das könnten Hinweise darauf sein, dass es bald wieder zu einer Polumkehr kommt", meint Leonhardt. Gravierende Auswirkungen seien durch den Polsprung, der tausende Jahre andauert, nicht zu erwarten, auch wenn das Magnetfeld dann komplett verrückt spielt "Auf dem Höhepunkt der letzten Umkehr gab es acht Pole."

Was sich damals abspielte, soll Vulkangestein aus Hawaii aufklären, das im Labor vor dem Stollen untersucht wird. "Die Lava ist vor 780.000 Jahren erstarrt. In dem Gestein ist das Magnetfeld der Erde zu diesem Zeitpunkt gespeichert." Die Daten aus der Vergangenheit sollen auch dazu dienen, auf künftige Veränderungen zu schließen. Was heißt "bald", wenn Leonhardt von der bevorstehenden Polumkehr spricht? "Unsere Urenkel könnten sie erleben." (Karin Krichmayr, DER STANDARD, 5.3.2014)