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Beim neuntägigen Volkskongress kommen knapp 3.000 Delegierte in der Großen Halle des Volkes in Peking zusammen.

Foto: AP Photo/Ng Han Guan

Die neue chinesische Regierung droht ein Wettrüsten mit ihren Nachbarn zu provozieren. Grund dafür ist der unerwartet starke Anstieg der Militärausgaben für 2014. In Japan und in Südostasien sorgte das Plus von 12,2 Prozent auf 800 Milliarden Yuan (95 Milliarden Euro) im Wehretat für Schlagzeilen. Die Zahlen wurden am Mittwoch von Finanzminister Lou Jiwei vor dem Volkskongress genannt, nachdem Premier Li Keqiang die achttägige Sitzung mit seinem ersten Rechenschaftsbericht eröffnet hatte.

Pekings Militärbudget ist (nach jenem der USA) das zweitgrößte der Welt. Trotz schwächeren Wirtschaftswachstums und einer kritisch hohen Binnenverschuldung darf es 2014 prozentual stärker als zuvor wachsen: 2012 wurde es um 11,2 Prozent, 2013 um 10,7 Prozent erhöht, die zusätzlichen Mittel wanderten in Hightech: Raketensysteme, Flugzeugträger und Tarnkappenbomber.

Der Zuschlag für das Militär steht in Widerspruch zu anderen Etatpositionen, wo Peking fast überall nur Abstriche macht. Als Wirtschaftswachstum werden laut Premier Li "um die 7,5 Prozent" angestrebt. Für den Außenhandel setzt er für 2014 auf einen Zuwachs von 7,5 Prozent gegenüber acht Prozent im Jahr 2013.

Chinesische Militärexperten hatten zuletzt eher Zurückhaltung beim Militäretat vermutet. Konteradmiral Yin Zhuo, Direktor der neu eingerichteten Marineexpertenkommission, verteidigte das hohe Budget: Es sei weit von dem Niveau entfernt, das das Land brauche "angesichts der Herausforderungen für seine Sicherheit".

Chen Zhou von der Akademie für Militärwissenschaften sagte, China müsse vorbereitet sein. Er spielte auf die USA und Verbündete wie Japan an: "Die asiatisch-pazifische Region ist zum globalen geopolitischen und wirtschaftlichen Zentrum geworden, wo einige Großmächte sich strategisch umorientieren und ihre militärischen Allianzen verstärken."

Weitere Modernisierung

Anders als sein Vorgänger, der damalige Premier Wen Jiabao, der noch vergangenes Jahr einen zweistelligen Zuwachs mit der Notwendigkeit "einer starken Armee" erklärte, die das Land zum "Schutz seiner Souveränität, Sicherheit und territorialen Integrität" brauche, sagte Li dies nun direkter: Mit dem Geld solle die Armee "weiter modernisiert und ihre Fähigkeiten zur Abschreckung als auch zum Kampf unter den Bedingungen der Ära der Informationstechnologie erhöht werden." China müsse auf alle Szenarien in allen Bereichen vorbereitet sein. "Der umfassende Aufbau einer modernen Logistik muss beschleunigt und die wissenschaftliche Forschung für die Landesverteidigung sowie die Entwicklung von neuen und hochtechnologischen Waffensystemen und Ausrüstung verstärkt werden."

Besonderen Beifall erhielt Li von den 2932 Abgeordneten, als er neben geltenden Prinzipien chinesischer Außenpolitik wie "friedliche Koexistenz, Übernahme internationaler Verantwortung oder Nachbarschaftsdiplomatie" erstmals auch einen neuen, weiteren Grundsatz nannte: Er nannte die Beschlüsse nach Ende des Zweiten Weltkriegs eine neue Grenze, wo für Peking alle Toleranz ende: "Wir werden die Ergebnisse des Sieges im Zweiten Weltkrieg und die internationale Nachkriegsordnung schützen. Wir werden niemandem erlauben, das Rad der Geschichte zurückzudrehen."

Li spielte auf den Inselstreit mit Japan an und auch auf die Forderung an Tokio, sich zur Weltkriegsschuld zu bekennen und alle Schritte zu einer Remilitarisierung zu unterlassen. Konteradmiral Yin: "Die Nachkriegsordnung verlangt von Japan, alle von China gestohlenen Gebiete zurückzugeben und die japanischen Kriegsverbrecher zu bestrafen."

Außerdem streitet Peking in Territorialfragen mit Anrainerstaaten wie Vietnam und den Philippinen. Die Sprecherin des Volkskongresses Fu Ying hatte am Dienstag zur erwarteten Debatte um die Höhe des Militäretats gesagt: "Frieden kann nur durch Stärke erhalten werden." China wolle mit allen Nachbarn zwar friedlich zusammenleben und territoriale Konflikte durch Verhandlungen beilegen; die Sprecherin drohte zugleich mit einem Umschwenken, wenn Nachbarstaaten Peking provozieren würden: "Dann werden wir in wirksamer Weise reagieren, um unsere territoriale Integrität zu bewahren."

Geänderte Prioritäten

Der Ton hat sich geändert. Noch 2012 hatte Peking defensiv um weltweites Verständnis geworben, warum es mehr Geld für seine Armee ausgibt. Grundsätzlich galt: Dem Aufbau der Wirtschaft kommt Priorität zu. Das scheint sich zu ändern: Die Regierung sieht sich als Großmacht mit dem selbstverständlichen Recht, sich ein starkes Militär aufzubauen. Das Ausland wird nicht einmal mehr informiert - wie im Fall der von Peking vergangenen November ausgerufenen Luftverteidigungszone (Adiz) über dem Ostmeer bzw. Japanischen Meer.

Dass Chinas Politik nicht von allen Bürgern gut geheißen wird, belegen vereinzelte Protestaktionen. So zündete sich auf dem Tiananmen-Platz eine Frau selbst an. Sicherheitsleute seien sofort mit Feuerlöschern eingeschritten, berichtete die South China Morning Post. Der Vorfall ereignete sich am Mittwoch nach der Auftaktsitzung des Volkskongresses in der angrenzenden Großen Halle des Volkes. (Johnny Erling aus Peking, DER STANDARD, 6.3.2014)