Am Ende des Lebens wird der Karrierenbegriff stark relativiert. Wirklich wichtig sind dann andere Dinge.

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Eine Palliativpflegerin hat ihre Patienten am Sterbebett gefragt, was diese nun im Angesicht der letzten Stunden bereuen würden. Für uns hier interessant: Keiner von ihnen bedauerte, nicht ein paar Wochenenden mehr am Arbeitsplatz verbracht zu haben, und genauso wenige beklagten, dass sie es nun doch nicht geschafft hätten, zur Vorstandsvorsitzenden aufgestiegen zu sein. Oder gar: sich auf dem Weg dorthin ein wenig fieser verhalten zu haben.

Ist das vielleicht ein Indiz dafür, dass es an der Zeit wäre, auch die Vorstellung von "Karriere" grundsätzlich zu überdenken? Nicht nur das Konzept von "Karriereerfolg", sondern ganz prinzipiell den Zugang zum Erwerbsverlauf? Schließlich verbringt man einen nicht geringen Anteil seines Lebens mit der Karriere.

Das gerade entstehende Forschungsfeld der "nachhaltigen Karrieren" beschäftigt sich damit. Nachhaltigkeit selbst ist dabei definiert als eine Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart deckt, ohne die Bedürfnisse der Zukunft zu gefährden. Auf Karrieren übertragen bedeutet das, dass man heute nichts machen sollte, wofür man später einen übergebührlichen Preis zahlt - sowohl in Bezug auf den Arbeitsinput (wie z. B. geleistete Wochenarbeitszeit) als auch den -output (z. B. Erfolg) und dessen Relation (auf welche Art der Erfolg zustande gekommen ist). Konkret sind es drei Kernpunkte, die eine nachhaltige Karriere auszeichnen:

  1. Viabilität. "Wer bremst, verliert" ist das falsche Motto. Karrieren sollten die Möglichkeit bieten, sich auch zu erholen und zu konsolidieren. Resilienz ist dafür ein modisches Zauberwort: sich biegen zu können, ohne zu brechen. Das erfordert Vollgas - aber auch Zeiten der Einkehr und Rekapitulation.
  2. Langfristige Orientierung. Anstatt kurzfristiger Abschöpfung von Fähigkeiten und Fertigkeiten sollte man strategisch-prozesshaft denken. Wenn man Karrieren schon zu Beginn "vom Ende her" betrachtet, kann man sich die Frage stellen, was passiert sein muss, dass man hinterher nichts bereut: Die langfristige Kongruenz von Werten und Verhalten ist hier zentral.
  3. Ganzheitliche Perspektive. Karrieren müssen nicht nur kognitiv zu einem passen ("mit dem Kopf"), sondern auch emotional ("mit dem Bauch"). Die Schnittstelle beruflich/privat ist hierfür eine zentrale Bruchlinie.

Eine permanente (!) Favorisierung des einen vor dem anderen bringt letztlich Schaden für beides.

Auch wenn es eine Illusion ist zu meinen, dass man grenzenlos frei bei der Gestaltung seiner Karriere wäre (schließlich kommt es nicht ausschließlich auf den guten Willen und den Mut an, sondern auch auf die Möglichkeiten, die sich bieten): Die Spielräume, die sich öffnen, sollte man mit Bedacht - also viabel, langfristig und ganzheitlich - nützen. Eine Karriere, die diesen drei Punkten entspricht, erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass man am Ende nichts bereut. Übrigens: "Ich wünschte, ich hätte nicht so viel gearbeitet" ist auf Platz zwei der Top-5-Regrets; gleich nach: "Ich wünschte, ich hätte den Mut gehabt, mein eigenes Leben zu leben." (Thomas Schneidhofer, DER STANDARD, 8./9.3.2014)