"Weil ich tatkräftig eine andere Politik machen wollte, wurde ich ausgebremst": Andrea Ypsilanti.

Foto: scheller

"Es war nicht erwünscht, dass ich im Nationalrat bleibe. Gegen diese Macht ist man machtlos": Sonja Ablinger.

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Linz – Sozialdemokratinnen, die nicht spuren, fliegen, sagen zwei, die es am eigenen Leib erlebt haben. Sonja Ablinger kam nicht mehr in den Nationalrat, weil sie sich nicht der "geschlossenen Anstalt" SPÖ unterwarf. Andrea Ypsilanti sagt, dass sie gestürzt worden sei, weil sie offen ihren Ansruch auf Macht kundtat. Die hessische Landtagsabgeordnete war auf Einladung Ablingers in Oberösterreich. Mit ihnen sprach Kerstin Scheller.

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derStandard.at: Sie behaupten, sozialdemokratische Parteien brauchen dringend eine neue feministische Diskussion. Warum?

Ypsilanti: Die Frauen sind viel zu brav. Für die Sozialdemokratische Partei in Deutschland kann ich sagen, wir Frauen haben uns auf der Quote ausgeruht, das war so ein Highlight: Endlich kommen wir vor mit 40 Prozent auch in den Vorständen. Und auf den Listen gilt der Reißverschluss. Da haben wir gedacht: Wir haben die Welt verändert, doch Tatsache ist: Wir sind in der gleichen Welt und nur ein paar Frauen mehr geworden.

derStandard.at: Immerhin: SPD-Parteivorsitzender Sigmar Gabriel will sich jeden Mittwochnachmittag eine Auszeit für seine Tochter nehmen.

Ypsilanti: Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer. Ein netter Versuch, aber es muss sich strukturell etwas ändern, damit Mann und Frau Beruf und Familie vereinbaren können. Es reicht nicht, dass der Vater einmal in der Woche einen Nachmittag zu Hause ist oder junge Väter drei Monate Erziehungsurlaub machen. Danach gibt es immer noch Familie und Kinder, die versorgt werden müssen. Das gehört organisiert, was derzeit auf dem Rücken der Frauen geschieht. Früher waren die Frauen für die drei K zuständig, Küche, Kirche, Kinder. Jetzt kommt noch das vierte hinzu: Karriere. Derzeit sind die Frauen vollkommen überfordert mit dem, was sie sich zutrauen müssen. Daran muss man ewtas ändern. Wir Frauen sind in die Erwerbsarbeit geströmt, aber die Männer nicht in die Familien. Da herrscht eine ganz krasse Schieflage.

Ablinger: Bei uns in Österreich ist die Ausgangslage etwas anders, da hat es ja lange einer institutionalisierte Frauenpolitik über das Frauenminsterium gegeben. Wir haben mit Johanna Dohnal eine Feministin als Frauenministerin gebabt, das macht, glaube ich, schon einen Unterschied, wie Themen transportiert werden. Damals war die Frauenbewegung stärker organisiert, es wurde mehr bewegt. Was heute fehlt: über die Parteigrenzen hinweg die Frauen zusammenzubringen, um für ihre Themen einzutreten.

derStandard.at: Geschieht das nicht am Weltfrauentag?

Ypsilanti: Die Weltfrauentage waren in den letzten Jahren in Deutschland sehr, sehr langweilig. Man trifft sich, stellt die gleichen Forderungen auf wie vor 50 oder 60 Jahren ...

Ablinger: ... dass wir heute noch mit denselben Themen an die Öffentlichkeit gehen, ist kein Versagen der Frauenbewegung, sondern eher das Ergebnis der Veränderungsunwilligkeit männlicher Herrschaftstrukturen ...

Ypsilanti: ... und wir Frauen keine machtvolle Gruppe sind, die den männlichen Privilegien den Kampf ansagt. Frauen fechten ihre Kämpfe zu Hause aus. Ihnen fehlt das Bekenntnis zur Macht. Das hört man von Frauen viel zu selten.

derStandard.at: Frau Ypsilanti, Sie waren 2008 als Gewinnerin der Landtagswahlen in Hessen kurz davor, an der Macht zu stehen, und haben es selber verspielt.

Ypsilanti: Da gibt es viele Geschichten darüber. Ich wollte in der Tat eine ganz andere Politik machen, als wir sie jetzt in der SPD in Deutschland machen. Und dass man da natürlich viele Feinde hat, weil sie wie bisher weitermachen wollen, ist klar. Es ist bei Frauen immer die Gratwanderung - wie weit lässt man sich auf die männlichen Machtstrukturen ein, um überhaupt irgendwo hinzukommen, und wo hat man den Spielraum, um überhaupt ewtas zu verändern. Also wo grenzt man sich von diesen Machtstrukturen auch wieder ab. Das heißt, wenn die Frauen etwas ändern wollen, kommen die Probleme, sie fliegen raus, werden verraten.

derStandard.at: Das heißt, Sie sehen sich als Opfer?

Ypsilanti: Nein, ich war Täterin - weil ich tatkräftig eine andere Poltik machen wollte, wurde ich ausgebremst.

derStandard.at: Wurden Sie nicht vielmehr von der eigenen Partei ausgebremst, weil Sie nach den Wahlen Ihre Zusage, nicht mit den Linken zusammenarbeiten zu wollen, aufgeben wollten, um Ministerpräsidentin von Hessen zu werden?

Ypsilanti: Ich möchte eigentlich gar nicht mehr darüber reden, weil es ist nicht so einfach, wie es in den Medien vermittelt wurde.

derStandard.at: Frau Ablinger, auch Sie wurden von der eigenen Partei ins Abseits manövriert. War das die Quittung für Ihre mangelnde Parteitreue, dass Sie bei den letzten Nationalratswahlen auf einem aussichtslosen Listenplatz landeten?

Ablinger: Ja. Die, die an den Schalthebeln der Macht sitzen, wollten das. Es war nicht erwünscht, dass ich im Nationalrat bleibe. Gegen diese Macht ist man machtlos.

derStandard.at: Droht der jungen oberösterreichischen Nationalratsabgeordneten Daniela Holzinger das Gleiche, weil sie entgegen der Parteilinie als Einzige für einen U-Ausschuss in der Causa Hypo Alpe Adria gestimmt hat. Oberösterreichs Landeschef Reinhold Entholzer hat sie dafür schon gemaßregelt.

Ablinger: Ich habe das echt völlig falsch gefunden, dass er öffentlich Holzinger rügt. Der Grund dafür ist, dass der Ruf nach Geschlossenheit in der Sozialdemokratie immer lauter wird. Bei uns wird viel zu oft Geschlossenheit eingefordert, ohne dass man über die Inhalte redet. Aber: In der geschlossenen Anstalt werden wir uns nicht wohlfühlen. (Kerstin Scheller, derStandard.at, 10.3.2014)