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Energie ohne Reue gibt es nicht, sagt der Humanökologe Helmut Haberl. Auch Windkraftwerke sind ein Eingriff in die Umwelt.

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Helmut Haberl: "Die Lebensqualität muss bei geringerem Ressourcenverbrauch nicht unbedingt abnehmen."

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STANDARD: Wie viele Flugreisen absolvieren Sie pro Jahr?

Haberl: Zwei bis vier Interkontinentalflüge und 25 bis 30 kürzere Flugreisen.

STANDARD: Bereitet Ihnen das ein schlechtes Gewissen?

Haberl: Ja, weil der klimatische Fußabdruck dieser Reisen erheblich ist. Nein, weil Wissenschaft auf Topniveau nicht anders geht. Man muss Kollegen auch manchmal persönlich treffen.

STANDARD: Laut dem letzten "Living Planet Report" werden pro Jahr Ressourcen von 1,5 Erden verbraucht. Würde jeder Mensch so leben wie die Österreicher, wäre der Verbrauch doppelt so groß.

Haberl: Diese Zahl beruht auf dem ökologischen Fußabdruck. Der Index hat seine Berechtigung, allerdings hat er aus meiner Sicht auch gewisse Schwächen. In Bezug auf das Klimasystem ist die Situation nämlich noch viel dramatischer: Hier befinden sich die europäischen Länder mit einem Faktor zehn über dem, was wir uns leisten könnten. Vor 15 Jahren hat man noch gemeint, dass man das Problem durch technische Effizienzsteigerungen und ökologische Steuerreformen in den Griff kriegen könnte. Ich finde diese Maßnahmen gut, aber in Summe wird das zu wenig sein. Wenn wir das Problem des Klimawandels und des Ressourcenverbrauchs ernsthaft angehen wollen, müssen wir Wirtschaft und Gesellschaft völlig neu organisieren. Da reicht es nicht, nur den Lebensstil zu ändern.

STANDARD: Im Jahr 1800 war Österreich noch eine Agrargesellschaft. War unser Lebensstil damals nachhaltig?

Haberl: Die Energiebasis der damaligen Lebensweise war im Wesentlichen Biomasse. Insofern war der Lebensstil nahezu nachhaltig, wenn auch die Abholzung der Wälder für Ackerland nicht CO2-neutral war. Das System war allerdings von der Bodenfruchtbarkeit abhängig, die den Ressourcenverbrauch begrenzte. Die Erhaltung der Bodenfruchtbarkeit gelang nicht immer, es gab immer wieder dramatische Hungerkrisen.

STANDARD: Selbst wenn sich die Welt in eine globale Agrargesellschaft verwandeln würde, wären unsere Umwelt- und Energieprobleme noch immer nicht gelöst?

Haberl: Das würde gar kein Problem lösen. In diesem Fall würden nämlich 80 Prozent der Weltbevölkerung verhungern, weil man auf diesem technologischen Niveau viel weniger Menschen ernähren kann. Technologische Innovation wird mit Sicherheit Teil der Lösung unserer Probleme sein. Nur kann man die Sache nicht ausschließlich an die Techniker delegieren. Mit ein paar zusätzlichen Sonnenkollektoren und Elektroautos wird es nicht getan sein.

STANDARD: Ist es nicht frustrierend für Sie, täglich festzustellen, dass das System das Problem ist?

Haberl: Ich sehe darin auch eine Chance: Macht unser Wirtschaftssystem die Leute glücklicher? Das bezweifle ich. In meiner Kindheit war das reale BIP pro Kopf weniger als halb so groß wie jetzt. Ich glaube aber nicht, dass die Möglichkeiten und Chancen damals nur halb so groß waren. Die Lebensqualität muss bei geringerem Ressourcenverbrauch auch nicht abnehmen. Wenn man etwa an den Zusammenhang zwischen Ernährung und Umwelt betrachtet, an dessen Darstellung ich für den aktuellen IPCC-Bericht, den Weltklimabericht, mitgearbeitet habe: Wenn wir weniger tierische Produkte essen würden, könnte das die landwirtschaftlichen Treibhausgase stärker reduzieren als sämtliche technischen Maßnahmen zur Emissionskontrolle - und gesünder wäre es auch. Davon abgesehen könnte eine nachhaltige Tierhaltung auch zu besseren Produkten führen. Vergleichen Sie mal den Geschmack eines Schrumpfschnitzels um 2,90 Euro mit Biofleisch.

STANDARD: Wie oft dürfen wir eigentlich Fleisch essen, ohne damit die Umwelt zu schädigen?

Haberl: Studien zeigen: Wenn man den Konsum von Fleisch, Milchprodukten und Eiern in Europa und den USA halbieren oder dritteln würde, wäre schon viel getan.

STANDARD: Apropos IPCC: Merkt man der Mitarbeit am Weltklimabericht an, dass dieser auch ein großes Politikum ist?

Haberl: Klar, es ist ja der Zweck des Berichts, den aktuellen Erkenntnisstand politik- und handlungsrelevant aufzubereiten. Die Arbeit findet an der Schnittstelle von Wissenschaft und Politik statt.

STANDARD: Sie fühlen sich als IPCC-Autor in Ihrer freien Rede nicht beschränkt?

Haberl: IPCC-Autorinnen und -Autoren unterzeichnen eine Vertraulichkeitserklärung: Wir dürfen natürlich unsere Meinung sagen, aber wir dürfen nicht für das IPCC sprechen. Das empfinde ich auch als richtig. Denn es geht im Weltklimabericht nicht um individuelle Meinungen, sondern um eine gemeinsame erarbeitete Einschätzung. Da wird zwischen Forschern und Regierungsvertretern über Formulierungen gefeilscht. Aber letztlich müssen beiden Seiten zustimmen. Was auch gut ist, weil das eine politische Verbindlichkeit erzeugt.

STANDARD: Die Botschaft des IPCC-Berichts ist deutlich, die politische Umsetzung ist es nicht. Bis jetzt gab es kaum eine Weltklimakonferenz, die nicht als Farce zu Ende ging. Warum?

Haberl: Weil die Botschaft nicht bequem ist. Und weil der Umsetzung wirtschaftliche Interessen entgegenstehen. Viele Industrien wollen natürlich an ihren Investments verdienen und bremsen daher den Wandel.

STANDARD: Gibt es positive Beispiele? Das Verbot der Fluorchlorkohlenwasserstoffe wurde innerhalb kurzer Zeit umgesetzt.

Haberl: Es gibt noch mehr Beispiele, etwa die Entschwefelung der Rauchgase und die Reduktion der Stickoxide. Diese Art von Problemen ist durch Technik und Umweltpolitik lösbar, ansonsten muss sich nicht viel ändern. Beim Klima ist das anders: Die Lösung hängt vom gesellschaftlichen Stoffwechsel ab. Sie verlangt eine grundlegende Umstellung des Ressourcenverbrauchs und stellt das Wirtschaftssystem infrage. Das hieße nicht: Wir machen weiterhin Kühlschränke, nur eben mit anderen Kühlmitteln.

STANDARD: Wäre es möglich, den Energiebedarf durch erneuerbare beziehungsweise alternative Energie zu decken?

Haberl: Ja, die Potenziale wären vorhanden. Allerdings haben auch die ihre Umweltprobleme: Windkraftwerke verändern das Landschaftsbild, Wasserkraftwerke greifen in Ökosysteme ein, und die Biomasse ist zumeist nicht CO2-neutral, weil sie jenen Kohlenstoff verbraucht, den ansonsten natürliche Ökosystemen teilweise speichern würden. Dieser Kohlenstoff ist Nahrungsgrundlage für alles Leben auf der Erde.

STANDARD: Welche alternative Energiequelle wäre ohne Reue zu nutzen?

Haberl: Energie ganz ohne Reue gibt es nicht. ( Robert Czepel, DER STANDARD, 12.3.2014)