Bonn - Erst himmelhoch jauchzend und dann wieder zu Tode betrübt - so stellen sich die extremen Stimmungswechsel für Menschen mit einer bipolaren Störung, die auch als manisch-depressive Krankheit bezeichnet wird, dar. Die Betroffenen durchlaufen eine wahre Achterbahn der Emotionen: Im extremen Wechsel erleben sie manische Phasen mit Größenwahn, gesteigertem Antrieb und vermindertem Schlafbedürfnis sowie depressive Episoden mit stark gedrückter Stimmung bis hin zu Suizidgedanken.

Die Ursachen der Erkrankung sind noch nicht vollständig geklärt, Wissenschaftler gehen aber davon aus, dass neben psychosozialen auch genetische Faktoren einen Anteil an der Entstehung der psychischen Erkrankung haben. "Für die Ausprägung einer bipolaren Störung hat aber nicht ein einzelnes Gen einen starken Effekt. Es sind offenbar sehr viele verschiedene Gene beteiligt, die mit Umweltfaktoren auf komplexe Weise zusammenwirken", meint Markus Nöthen vom Institut für Humangenetik des Universitätsklinikums Bonn.

Weltweit umfassenste Studie

Ein internationales Wissenschaftlerteam hat nun Daten über das Erbgut von rund 9.800 Patienten mit Daten von mehr als 14.000 gesunden Menschen verglichen. Eine derartige umfassende Untersuchung der genetischen Grundlagen der bipolaren Störung hat es in dieser Größenordnung bislang noch nicht gegeben, betont Marcella Rietschel vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit Mannheim, die ebenfalls am Forschungsprojekt mitwirkte.

Die Fahndung nach Genen, die an der manisch-depressiven Erkrankung beteiligt sind, scheint mit der obligatorischen Suche nach der Nadel im Heuhaufen vergleichbar zu sein: "Die Beiträge einzelner Gene sind so gering, dass sie normalerweise im 'Grundrauschen' genetischer Unterschiede nicht zu erkennen sind", sagt Sven Cichon vom Universitätsspital Basel. Erst wenn die DNA von extrem vielen Patienten mit bipolarer Störung mit dem Erbgut einer ebenfalls sehr großen Zahl an gesunden Menschen abgeglichen wird, können statstisch gesicherte Unterschiede eruiert werden. Solche Verdachtsregionen, die auf eine Erkrankung hindeuten, nennen Wissenschaftler Kandidatengene.

Zwei neue Genregionen entdeckt

Im Erbgut der Patienten sowie der Vergleichspersonen erfassten die Forscher mittels automatisierter Analyseverfahren jeweils rund 2,3 Millionen verschiedene genetische Marker. Die anschließende Auswertung mit biostatistischen Methoden ergab insgesamt fünf Risikoregionen auf der DNA, die mit der bipolaren Störung in Zusammenhang stehen. Während drei  Risikoregionen ("ANK3", "ODZ4“ und "TRANK1") bereits in vorangegangenen Studien beschrieben wurden, waren zwei weitere den Wissenschaftlern bislang unbekannt. Es handelt sich dabei um das Gen "ADCY2" auf Chromosom fünf und die sogenannte "MIR2113-POU3F2"-Region auf Chromosom sechs. 

Besonders interessieren sich die Forscher nun für die neu entdeckte Genregion "ADCY2". Sie codiert ein Enzym, das an der Weiterleitung von Signalen in Nervenzellen hinein beteiligt ist. "Das passt sehr gut zu Beobachtungen, dass bei Patienten mit bipolarer Störung die Signalübertragung in bestimmten Regionen des Gehirns beeinträchtigt ist", so Humangenetiker Nöthen. (red, derStandard.at, 12.3.2014)