Stimmung, schlechte Laune! Die österreichischen Wut-Rocker Kreisky beschweren sich über ein Leben im Prekariat. Von links: Klaus Mitter, Martin Max Offenhuber, Franz Adrian Wenzl und Gregor Tischberger.

Foto: Pertramer/Mitter

Kreisky - Blick auf die Alpen (Wohnzimmer/Hoanzl). Ab 21.3. im Handel

Cover: Wohnzimmer

Die Geschichte zeigt, dass Unterhaltungsmusik in wesentlichen Teilen immer darauf abzielte, dass die Leute sich nicht nur von ihr unterhalten lassen, sondern sich auch möglichst gut dabei fühlen. Zipedi-duda, shalala und tura-lura-lura-lu, ich sag bubu, was sagst du. Seit die Welt nicht nur im Realen, sondern auch in den Zeitungen, im Fernsehen und im Internetz verstärkt krachen geht, hat sich zu den historisch bestens bewährten todessehnsüchtigen Beschwerdeliedern von Franz Schubert, dem Gejammere von Bluesern und Cowboys oder der lebensmüden Balladenkunst verlassenener Männer zwischen Elvis, Nick Cave, Milli Vanilli und den Backstreet Boys im Pop und Rock auch noch ein weiteres Ausdrucksmittel dazugesellt. Gute Laune mag zwar gut und schön sein - aber vom Leben angefressen sein und dies auf höchstem Niveau: das ist eine Kunst, die man nicht unterschätzen darf. Pop hat seine Unschuld schon vor bald 50 Jahren verloren. So what.

Natürlich könnte man jetzt anführen, dass die Zeiten derzeit wirklich wieder einmal nicht so gut werden, wie sie schon einmal nicht waren - und dass deshalb Stimmung und gute Laune und "Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist" auf sämtlichen Kanälen regieren; inklusive moderner Gladiatorenshows wie Singwettbewerben oder Model-Disziplinierungsmaßnahmen, in denen nur jene ans Ziel kommen, die besonders effizient gute Laune im Schrecken der bestehenden Verhältnisse verbreiten. Das ist der auf dem Reißbrett von geheimen dunklen Kräften entworfene Pop. Der schläfert mit bestimmten Bassfrequenzen und bei sanften Geburten sowie in Verhörtechnik- und Konfliktlösungs-Workshops getesteten Melodien und Quietschenten-Stimmen das Kognitive ein. Er trägt es sanft in die Wohlfühlzone des Lebens. Wobei nicht darauf vergessen wird, gleichzeitig ordentlich auf den Putz zu hauen, um so Welthaltigkeit zu demonstrieren.

Als Gegenbewegung dazu könnte man etwa erwähnen, dass viele junge Leute nicht mehr die neuesten Apps und Haarshampoos kaufen wollen und sich auch nicht mehr in den Farben von Speiseeis und Bubble Tea stylen, sondern lieber mit Freunden in die schöne Natur ziehen und dort mit Flöte, Bongotrommeln und Gitarren ohne Strom friedlich das Zeitalter des Wassermanns zu Grabe tragen.

Jede Menge Protest

Es gibt allerdings auch Menschen, die lieber in den Städten hocken bleiben und trotzdem nicht in die Disco gehen, um zu vergessen. Hier ist jede Menge Protest zu spüren, der einerseits damit arbeitet, Gefühle leicht verständlich in Protestmusik umzusetzen. Sie könnte beispielsweise auch von mieselsüchtigen Männern am Stammtisch entwickelt werden. Franz Adrian Wenzl, der Sänger der österreichsichen Rockband Kreisky, weiß, wie man das auf den Punkt bringt: "Der Mensch gehört nicht in die Wildnis, das ist wider die Natur. Der Mensch gehört in eine Wohnung, auf eine Sofagarnitur." Das zitierte Lied Die Wildnis ist Teil des neuen Kreisky-Albums Blick auf die Alpen. Zumindest lyrisch befindet sich der Mann, der in seinem zweiten Leben als mieselsüchtige heimische Kunstfigur Austrofred durch die Mehrzweckhallen des Landes zieht auf der Höhe seiner Kunst.

Franz Adrian Wenzl bezeichnet die neuen, in Songform gegossenen Ergebnisse seiner Studien von Alltagssprache, Renitenz und schlechter Laune naturgemäß als "Entertainment". Wobei der beiläufige Zusatz schon auch sehr wichtig ist: "Das Negative ist immer interessanter als das Positive. Auch die schlechte Laune kann unterhaltsam sein, wenn man sie nicht bierernst pflegt." 2005 in Wien gegründet, lebt die restliche Band noch immer in Wien. Wenzl aber hat es vor einiger Zeit zwecks Familiengründung und der besseren Anlagemöglichkeiten auf dem dortigen Immobilienmarkt auf eine Sofagarnitur nach München gezogen, wie er gallig meint.

Auch in der neuen Wahlheimat kann man sich schnell mit Leuten anfreunden, die unter prekären Umständen arbeiten. Wenzl: "Als mein eigener Arbeitgeber kann ich mich wenigstens selbst verarschen." Für sie findet sich auf dem neuen Album auch ein hartes Rockbrett (inklusive Bongotrommel-Mittelteil) namens Selbe Stadt, anderer Planet. Dieses bringt das Lebensgefühl der Generation 40 minus, auf die die Welt der Vollbeschäftigung nicht unbedingt gewartet hat, weshalb sie sich nicht für vollgenommen fühlt, radikal auf den Punkt. Von allen Gefühlen des Versagens und der Unzulänglichkeit befreit, dreht das Lied den vom deutschen Feierabendschlager einst gepriesenen Hedonismus des Blaumachens in der Vollbeschäftigung um.

Aufsässig und quengelig

Tony Marshall sang einst: "Heut' wird Krawall gemacht, solange bis die ganze Bude kracht - und wenn die anderen zur Arbeit gehen, sagen wir gut' Nacht." Diese Party ist vorüber. Heute wird von Kreisky bei keinem Geld und keiner Feier graugemacht: "Alle müssen zur Arbeit, nur die Studenten nicht, und die Selbstständigen und der Mann aus dem ersten Stock mit dem verbrühten Gesicht, die arbeiten nicht, und die Frühpensionisten - und ich." Der Refrain, der in bester aufsässiger Quengeligkeit mit wenig Bass und viel Schrille daherkommt, ist ein Höhepunkt der Musikgeschichte: "Ihr müsst raus - ich bleib liegen! Ihr müsst raus - und ich dreh mich noch mal um und schlafe bis um zwei!"

Die Verhältnisse sind kompliziert, die Aussichten sind nicht rosig: "Die Erde ist ein Todesstern, wer auf ihr lebt, muss sterben." Franz Adrian Wenzl und Kreisky haben ihren Antonin Artaud gelesen, legen aber als stets in feinen Zwirn gekleidete Kaffeehausrevolutionäre mit brummendnen und kreischenden Röhrenverstärkern und einer gewissen gesunden Grundfaulheit in Sachen musikalischer Feinschliff keinen Wert auf Kenntlichmachung des Gescheitseins: "Ich bin von dem drohenden Tod so stigmatisiert, dass der wirkliche Tod für mich keinen Schrecken hat."

Die Band wurde Mitte der Nuller-Jahre auch gegründet, weil man sich von anderen Rockern der Generation FM4 nicht nur äußerlich abgrenzen wollte: "Uns war diese Singerei über persönliche Befindlichkeiten immer etwas peinlich. Das ist zu schlaff. Wir fanden es immer lustiger, wenn man den Leuten ungute Wahrheiten ins Gesicht schreit." Englisch wegen des Erfolgs im Ausland? Wenzl: "Zu anstrengend, mein Englisch ist zu schwach."

Im Lied Rinderhälften erzählen Kreisky einen Witz. Eine Frau kommt zum Arzt und klagt ihr Leid. Mann verloren, Kind verloren, Geld verloren, alles verloren. Was ihr denn fehle, will sie vom Herrn Doktor wissen, um Gottes Willen, was fehle ihr bloß? Darauf sagt der Arzt, dass es sehr gut sei, wenn ihr etwas fehle, weil er sonst ja zusperren müsse und arbeitslos wäre. Hier schließt sich der Teufelskreis. Insofern sind Kreisky mit ihrer aggressiven, ruppigen und unversöhnlichen Musik, die sich auch auf dem neuen Album Blick auf die Alpen nicht hat glattbügeln lassen (ok, ein bisschen) allerdings auch nicht der Arzt. Kreisky sind der Schmerz. Stimmung, schlechte Laune. Bei dieser Band bekommt man es gebündelt. (Christian Schachinger, DER STANDARD, 14.3.2014)