Wien - Eine geschlagene Viertelstunde spielt die kleine Trommel in Maurice Ravels Boléro den berühmten Rhythmus. Auch als das Orchestre symphonique de Montréal und sein Musikdirektor Kent Nagano den Dauerbrenner als Zugabe im Wiener Konzerthaus brachten, war dieses Ostinato ein Gradmesser der Genauigkeit, doch zugleich weit mehr als das. Denn es war kein stures Hämmern zu hören, vielmehr eine in sich differenzierte Gestalt mit verschiedenen Klangfarben und einem Eigenleben.

Allein dafür hätte sich der Besuch des ersten von zwei Abenden des Gastspiels gelohnt - und wegen des ohne jede verfälschende Beschleunigung oder Verbreiterung gespielten, immer wieder wirkungsvollen Schlusses ebenso. Dazwischen waltete dieselbe Akribie wie im gesamten Konzert: bei Ravels Le tombeau de Couperin, das zu einem kammermusikalisch lichten Reigen wurde, ebenso wie bei Igor Strawinskis Petruschka, bei dem endlich einmal die Collage aus Jahrmarktsmusik, verklärten Tanzbildern und schriller Drastik plastisch und ohne unbeabsichtigtes Verfransen zwischen den Sphären erklang.

Wenn dazwischen Unsuk Chins snagS&Snarls für Sopran und Orchester gespielt wurde, war das wohl als Signal für zeitgenössische Musik gedacht. Doch selbst wenn die Solistin Ekaterina Lekhina weniger opernhaften, also klischeehaften Surrealismus eingebracht hätte und ihr Englisch als solches erkennbar gewesen wäre, blieben diese Vorstudien zur Oper Alice im Wunderland doch nichts weiter als wohlfeiles, unterhaltsames Kunstgewerbe.

Das Orchestre symphonique de Montréal und sein Dirigent Kent Nagano brachten indes auch hier jede Klangnuance mit sinnlicher Präzision auf den Punkt. Genauso wie in der ersten Zugabe, Georges Bizets Farandole aus der L'Arlésienne-Suite Nr. 2: Es war schon für sich ein Wunderwerk - an kontrollierter Impulsivität und Durchsichtigkeit. (Daniel Ender, DER STANDARD, 18.3.2014)