"There is no free lunch", sagen die Angelsachsen. Soll heißen: Nichts im Leben ist gratis. Entweder man zahlt gleich freiwillig, oder man bekommt irgendwann die Rechnung präsentiert.

Weite Teile Europas leben in der längsten Friedensperiode der Geschichte. Nur noch die Älteren können sich an Krieg erinnern. Für die meisten anderen sind Frieden und Wohlstand selbstverständlich. Diese historisch einzigartige Entwicklung hat einen Namen: Europäische Union. Sie gründet, ausgehend von den Lehren der Geschichte, auf den Prinzipien allgemeingültiger Normen und Werte, Interessenausgleich und (auch finanzieller) Solidarität.

Schon die Eurokrise zeigte, dass diese Fundamente nicht unerschütterlich sind. Wenn Wunschdenken und Wegschauen (etwa im Fall Griechenlands) über längere Zeit den Realitätssinn ersetzen, kommt einmal die Stunde der Wahrheit.

Dieser Punkt ist jetzt auch im Fall der Ukraine und Russlands erreicht. Und man muss Wladimir Putin für seinen Beitrag dazu fast dankbar sein. Wenn der Kremlchef ein Dekret unterzeichnet, mit dem er den "Willen der Krim-Bevölkerung" allerhöchst absegnet, dann drückt sich darin ein Machtdenken aus, wie es vor fast hundert Jahren zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs führte. Und da Putin mit seinem Ukraine-Kurs bei den Russen offensichtlich populärer denn je ist, wäre es auch zu einfach (wiewohl nicht ganz abwegig), von einem pathologischen Fall zu sprechen.

Putin geht so weit, wie man ihn gehen lässt. Mit seinem Machtinstinkt erkennt er jede Schwachstelle eines Gegners (nach eigener Definition) und nützt sie skrupellos. Dass die "sanfte Macht" EU bei einem solchen Spiel fürs Erste schlechte Karten hat, liegt auf der Hand. Eine militärische Option ist ausgeschlossen, wie die deutsche Kanzlerin Angela Merkel unmissverständlich klargemacht hat. Der abgestufte Sanktionsplan der EU ist eine realistische Antwort, die der Diplomatie die Türen offen hält.

Aber auch hier gilt: Ein Gratisessen gibt es nicht. Der Zahltag wird kommen. Vielleicht schon bald - wenn Putin nach seinem Krim-Triumph auch die Ostukraine ins Visier nimmt. Dann muss die EU zu schärferen Sanktionen greifen und damit russische Vergeltungsmaßnahmen wie weniger und teureres Gas in Kauf nehmen. Das werden viele Unionsbürger spüren.

Doch selbst wenn dies nicht eintreten sollte, kann die Ukraine-Russland-Krise nicht ohne kostspielige Folgen für die EU bleiben. Das Plädoyer von Erweiterungskommissar Stefan Füle, Kiew eine Beitrittsperspektive zu geben, weil dies eine "beispiellos verändernde und stabilisierende Kraft" habe, kommt spät. Wer weiß, wie Russland sich verhalten hätte, wäre die Ukraine schon vor Jahren EU-Kandidat geworden? Auch bei der EU- und Nato-Osterweiterung schrie Moskau anfangs Zeter und Mordio, um sich dann mit den Tatsachen abzufinden - und selbst von Stabilität und Wirtschaftsdynamik zu profitieren.

Eklatanter Mangel an Wissen, Weitsicht und Mut in den europäischen Staatskanzleien hat entscheidend zur Krise beigetragen. Was eine bequem und träge gewordene EU (und das sind wir alle) zur nachhaltigen Sicherung von Frieden und Prosperität auf dem ganzen Kontinent nicht freiwillig investieren wollte - ideell, politisch und wirtschaftlich -, muss sie jetzt gezwungenermaßen tun. Und das wird nicht billiger werden. (Josef Kirchengast, DER STANDARD, 19.3.2014)