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Georg Herrnstadt: "Kinder aus homosexuellen Familien sind gelungen, sozial kompetent und glücklich." Das belegten Studien aus den vergangenen drei Jahrzehnten in den USA.

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In der Debatte um die Adoption durch gleichgeschlechtliche Paare scheint es um eine Rechtsabwägung zu gehen zwischen dem Recht eines Paares auf Kinder, dem Recht der Kinder auf ein handelsübliches, gesellschaftlich allgemein akzeptiertes Elternformat und ganz nebenbei um die soziale Notwendigkeit, für elternlose Kinder Pflegepersonen zu finden. Wenn man aber das Phänomen der Rekonstruktion von Geschlechterrollen durch die Gesellschaft ins Blickfeld rückt, wird man um die Forderung nach Adoption gerade durch unübliche Formate gar nicht herumkommen. Es kann der Bewegung um Geschlechtergerechtigkeit nichts Besseres passieren, als dass Kinder innerhalb homosexueller Beziehungen sozialisiert werden. Ich will versuchen diese These kurz zu begründen.

Geschlechterrollen ständig neu produziert und verfestigt

Der patriarchalen Gesellschaftsordnung entsprechende Geschlechterrollen werden, ohne dass viele Menschen das je bemerken, ständig neu produziert und verfestigt. Im Detail ist das x-mal beschrieben worden. Ich nehme nur ganz oberflächlich meine spontanen Eindrücke der letzten Tage her: Die ersten zwölf Seiten des Standard vom 1./2. März zeigen Bilder von dreiundzwanzig in der Öffentlichkeit stehenden Männern, jedoch von nur fünf Frauen. Vier von diesen fünf Frauen als "Aufputz für Männer".

Michael Spindelegger grinst von einem Ohr zum anderen, weil er Viviane Reding und seine Gattin - beide bei ihm eingehakt - zum Ball führt. Dann gibt es noch Frau Kardashian (sehr kleines Bild, einem "US-Starlet" angemessen), und Margit Fischer ist zu sehen, in einer Loge während des Opernballs. Sie richtet ihrem Angetrauten das Mascherl - was Frauen halt üblicherweise so tun.

Gerda Schaffelhofer von der Katholischen Aktion (Diskussion in der ZiB 2 vom 5. März) mit ihren verrosteten Ansichten sollte sich bilden. Man weiß es - wenn man will: Kinder aus homosexuellen Familien sind gelungen, sozial kompetent und glücklich. Dazu gibt es Untersuchungen in genügender Zahl - darüber braucht man nicht mehr "lange diskutieren". In den USA gibt es seit dreißig Jahren Studien über Kinder aus gleichgeschlechtlichen Familien. Auch die sexuelle Orientierung dieser Kinder - das ist ja der spießige Argwohn der Adoptionsgegner - entspricht dem statistischen Durchschnitt. Ganz im Gegenteil könnte man argumentieren, dass die überwiegende Mehrzahl der Schwulen und Lesben in heterosexuellen Normfamilien aufgewachsen sind. Die Androgynieforschung belegt, dass Menschen, die den Geschlechterstereotypen nicht entsprechen, länger leben, gesünder und glücklicher sind. Auch Sigmund Freud riet vor rund 100 Jahren schon:

Aktivität/Passivität

"Wir sind gewohnt zu sagen, jeder Mensch zeige sowohl männliche als weibliche Triebregungen, Bedürfnisse, Eigenschaften, aber den Charakter des Männlichen und Weiblichen kann zwar die Anatomie, aber nicht die Psychologie aufzeigen. Für sie verblasst der geschlechtliche Gegensatz zu dem von Aktivität und Passivität, wobei wir allzu unbedenklich die Aktivität mit Männlichkeit, die Passivität mit Weiblichkeit zusammenfallen lassen."

Wenn man den Blick nur ein wenig schärft für Bildbotschaften, die täglich von Werbung, Fernsehserien, selbst von "fortschrittlichen" Medien verbreitet werden, könnte man leicht verzweifeln.

Was F. W. J. Schelling bezüglich der Produkte der Natur sagt, gilt noch mehr für die Produkte und Konstruktionen gesellschaftlicher Verhältnisse - also z. B. die Stellung der Frau. "Es ist schlechterdings kein Bestehen eines Produktes denkbar, ohne ein ständiges Reproduziert-Werden. Das Produkt muss gedacht werden als in jedem Moment vernichtet und in jedem Moment neu reproduziert. Wir sehen nicht eigentlich das Bestehen des Produkts, sondern nur das beständige Reproduziert-Werden." Folgerichtig kann man mit Schelling weiterdenken: "In der üblichen, naturalistischen Betrachtung der Natur oder der gesellschaftlicher Verhältnisse und Daseinsweisen wird die 'sinnliche' Auffassung (das bekannte "Na so ist das eben, leider" oder "Es ist ja wirklich so!") nicht überwunden, sondern festgeschrieben und mit dem Prädikat universeller Gültigkeit ausgestattet." Auch das ist eine adaptierte Quintessenz aus Schellings Naturphilosophie.

Andere Eltern

Wenn heranwachsende Kinder auch durch Vorbildwirkung innerhalb ihrer Familien neue Geschlechterrollen kennen- und leben lernen sollen, müssen sie neue, andere Väter und Mütter erleben. Dann können Buben neue Rollen erlernen wie hausfrauende Männer, zärtliche, umsorgende, mütternde Männer, daseiende Männer, Anweser und nicht sich in Überstunden flüchtende Familienunterhalter. Mädchen könnten lernen, dass manche Männer dazu prächtig imstande sind, und werden es vehementer von ihren zukünftigen Ehemännern einfordern. Mädchen könnten sich an aufsichtsratenden Frauen und Bohrmaschinen-Bedienerinnen orientieren und neue starke Vorbilder im Familienalltag erleben.

Kleiner Innovationsschub

Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist dann kein Frauenproblem mehr, sondern ein Menschenproblem. Die heterosexuelle, bürgerliche Normfamilie kann unter den derzeitigen gesellschaftlichen Bedingungen solche Erfahrungen und Lernmöglichkeit kaum bieten. Mit hoher Wahrscheinlichkeit könnte das nur bei homosexuellen Erziehungspersonen klappen. Es gibt leider dero zu wenige, aber ein kleiner Innovationsschub könnte sich da schon einstellen. Daraus begründet sich meine im Titel formulierte Forderung. (Georg Herrnstadt, DER STANDARD, 22.3.2014)