Was wie Mikado aussieht, veranschaulicht das belgische politische System mit Bevölkerungsgruppen, Sprachen und Regionen: Installation von Adrien Tirtiaux.

Foto: Markus Wörgötter

Wien - Adrien Tirtiaux ist ein guter Beobachter. Davon zeugen in seiner Ausstellung in der Galerie Martin Janda gleich mehrere Arbeiten; eine zeichnet ihn jedoch als besonders aufmerksam für die Dinge seiner Umgebung aus. Ausgangspunkt des Projekts A House for 1820 Writers (2009) war eine Reihe von Universitätsarbeiten, die der Künstler im Papierkorb gefunden hat: Entwürfe von Architekturstudenten, die ein Haus für einen Schriftsteller entwickeln sollten. Obwohl nur die wenigsten an Regale dachten, hat der Künstler das Potenzial der Pläne erkannt und daraus ein surreal anmutendes, riesiges Hochhaus gebaut.

Ein ähnlich "unmöglicher" Wohnkomplex wird auch der Schauplatz für die Realisierung einer anderen Arbeit sein: Adrien Tirtiaux hat den Wettbewerb zur Vorplatzgestaltung eines monströsen Wohnblocks in Antwerpen gewonnen, wo er unter Beteiligung der Bewohner ein Dripping Bomb Drop vorsieht. In Anlehnung an Pollock hatte er eigentlich geplant, dass die Farbbomben von den Bewohnern einfach vom Balkon geschmissen werden; für die Realisierung musste er dann jedoch eine Reihe von Kompromissen eingehen. Solche Zugeständnisse sind im Grunde auch Gegenstand seiner Skulptur Gleichgewichtskonstruktion (Das Land mit sechs Parlamenten): Sie besteht aus verschiedenfarbigen Stahlrohren und -kabeln und symbolisiert das belgische Regierungssystem, das das Verhältnis von Wallonen und Flamen ständig ausbalanciert.

Zu den spannendsten Arbeiten der Schau gehört allerdings ein Projekt, das sich auf die Verschiebung eines anderen Gleichgewichts bezieht: Anfang 2013 sollte das Budget des Kunstzentrums Stroom in Den Haag um 21 Prozent gekürzt werden. Eine Intervention Tirtiaux' (in der Ausstellung durch eine Project-Box mit Modellen und Briefen dokumentiert) machte diesen Great Cut deutlich sichtbar: Mithilfe einer Holzkonstruktion schränkte der Künstler die Gesamtfläche der Institution um exakt 21 Prozent ein, sodass ein wichtiger Teil der Büros und der Ausstellungsfläche fehlte; selbst die Damentoilette war nicht mehr zugänglich. (Christa Benzer, DER STANDARD, 27.3.2014)