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140 Kilogramm Muskelmasse auf natürlichem Weg? Geht nicht, sagt der Experte.

Foto: AP/Andres Kudacki

Neugierige könnten beim Eintreten in einen Sportnahrungsshop fast Angst bekommen: Hier stapelt sich Eiweißpulver in Fünf-Kilo-Säcken, andere Proteinpräparate gibt es in gigantischen schwarzen Dosen. Daneben stehen Kreatinkapseln, Kohlehydratgels und andere mysteriöse Gläser mit bunten Pillen in den Regalen. Die Musik dröhnt, Muskelprotze zieren die Poster an den Wänden, und die Verkäufer scheinen die besten Werbeträger für ihre eigenen Produkte zu sein. Das implizite Versprechen: Mithilfe der richtigen Präparate kann sich jeder in Arnold Schwarzenegger verwandeln.

"Das so frei in den Verkauf zu geben ist fast fahrlässig", sagt Sandra Wallner-Liebmann, Ernährungswissenschaftlerin und Pathophysiologin an der Medizinischen Universität Graz sowie stellvertretende Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Sporternährung. Ernährungssupplemente würden eine umfassende Beratung erfordern und müssten streng selektiv und individuell unterschiedlich eingesetzt werden: Denn die Auswahl ist schier grenzenlos, doch lediglich ein Bruchteil der Substanzen ist mit klinischen Studien belegt.

So wie die Pillen, die der Verkäufer gerade zwei Läuferinnen empfiehlt: Das Mittel soll Fettmasse reduzieren und gleichzeitig Muskelmasse aufbauen. Zweimal zwei Pillen pro Tag - und nur natürliche Inhaltsstoffe, informiert er. Mögliche Nebenwirkungen seien lediglich Schlafstörungen, wenn die Pillen zu spät am Abend eingenommen werden. Wallner-Liebmann kennt das Produkt: "Das komplexe Präparat ist nicht klinisch getestet", warnt sie und mahnt besonders Risikopersonen wie Jugendliche im Wachstum und Personen mit Blutdruck- und Herz-Kreislauf-Problemen zur Vorsicht.

Robert Fritz, Arzt für Allgemein-, Sport- und Ernährungsmedizin und Leiter des Medical Center beim Vienna City Marathon, wird immer wieder von Hobbysportlern gefragt, mit welchen Mitteln sie ihre Leistung steigern können. Eine massiv steigende Nachfrage bemerkt er nicht, obwohl die Sportnahrungsshops neben Wettcafés und Handyshops nur so aus dem Boden sprießen. Im Endeffekt bräuchten die meisten Hobbysportler "nicht viel", sagt Fritz. Grundsätzlich gebe es aber durchaus Produkte auf dem Markt, die nicht schlecht seien, beispielsweise Eiweißpräparate im Kraftsport und Kohlehydrate in Riegel- oder Gelform für Ausdauersportler.  

Irritationen und Unverträglichkeiten

Bei Letzteren rät Wallner-Liebmann dazu, sich vorab umfangreich zu informieren: "Es ist entscheidend, dass der Anwender genau weiß, wann die Einnahme etwas bringt." Bei Ausdauerläufen kann es durch die konstante Erschütterung des Magen-Darm-Trakts zu Irritationen kommen, und auch Unverträglichkeiten können in Kombination mit fehlender Flüssigkeitszufuhr noch verstärkt werden, so Wallner-Liebmann.

"Viel Blödsinn"

Der Verkäufer im Shop betont, dass bei ihm ein bunt gemischtes Publikum einkaufe. Er selbst könne gar nicht auf die pro Tag benötigte Kalorienanzahl kommen ohne Proteinpulver, erklärt der muskelbepackte Mann. Die wichtigste Zielgruppe der Industrie dürften auch nach wie vor Kraftsportler sein, bestätigt Fritz: Die typischen "Mucki-Buden", in denen sich Muskelprotze in der Umkleidekabine Anabolika spritzen, gebe es zwar heute nur noch in sehr viel geringerem Ausmaß. Eines stellt er aber klar: "Wenn Sie jemanden sehen, der aus 140 Kilogramm Muskelmasse besteht und Oberarme hat, die wie Oberschenkel ausschauen, kann das nicht natürlich sein."

Er rät grundsätzlich zu Vorsicht: "Der Markt ist mit viel Blödsinn überschwemmt." Studien würden belegen, dass ein Fünftel der Eiweißpräparate, die etwa im Kraftsportbereich verwendet werden, veunreinigt ist, beispielsweise mit Prohormonen oder Hormonen. "Das steht nicht auf der Verpackung", so der Mediziner.

Denn die Nebenwirkungen von Eiweißpräparaten, die Hormone beinhalten, sind beachtlich: Dazu gehören Herzerkrankungen und Impotenz. Fritz erzählt von einem jungen Mann, dem die Haare büschelweise ausfielen, nachdem er sich vermeintlich muskelaufbauende Präparate aus dem Internet gespritzt hatte. Zu den Langzeitfolgen zählen außerdem Herz- und Lebererkrankungen sowie Tumore.

Gefahr von Abhängigkeit

Auch vor Überdosierungen nach dem Motto "Je mehr, desto besser" warnt Wallner-Liebmann: Im schlimmsten Fall komme es zu einer starken Organbelastung.

"Im Sport spielt eine starke psychische Komponente mit", sagt Wallner-Liebmann. Viele Sportler würden ihre sportlichen Erfolge auf das Ergänzungsmittel zurückführen und daher immer mehr davon einnehmen. "Da entsteht auf der mentalen Ebene eine Abhängigkeit", erklärt die Ernährungswissenschaftlerin. Am problematischsten seien Kapseln und Getränke, weil sie am schwierigsten zu dosieren seien.

Langzeitstudien fehlen

Für Sportler sollte laut Wallner-Liebmann zuallererst die Optimierung ihrer Basisernährung das Ziel sein. Je nach stundenweiser Belastung pro Woche erhöhe sich der Bedarf an Kohlehydraten sowie Fetten und Ölen. "Und das, was ich supplementiere, ist nur die ganz oberste kleine Spitze dieser Pyramide", erklärt sie. "Und diese Spitze funktioniert überhaupt nicht, wenn die Basis nicht stimmt."

Das größte Problem: Studien, die die Langzeitwirkung der auf dem Markt befindlichen Mittel umfangreich überprüfen, gibt es kaum. Bei "sauberen" Eiweißpräparaten macht Fritz sich keine Sorgen, "das ist ein bisschen konzentrierter als Milch. Aber bei allen anderen Dingen, die auf den Markt kommen und versprechen: Das macht dich schneller, stärker schöner - da wäre ich vorsichtig." Niemand wisse, wie Mittel wirken, die man über 20 Jahre hinweg einnimmt. "Da hätte ich auch eine Riesenangst, wenn ich ehrlich bin." (Franziska Zoidl, derStandard.at, 4.4.2014)