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"Wir leben mit den alten Aufträgen in einer poststaatlichen Zusammenfügung, in der der Wert der Institutionen nicht mehr nach  deren inhaltlicher Bedeutung festgestellt wird."  

Foto: APA/Hans Klaus Techt

Melancholie. Die Verursacher nennen sie Politikverdrossenheit. Die Betroffenen erfahren sie als vage beunruhigende Langeweile und halten sie durch Konsumsteigerung in Schach.

Melancholie. Sie drückt sich in Handlungsfurcht und Verhaltensangst aus. Die Verursacher stellen sie her und werden dann wiederum selbst von ihr erfasst. Die Körpersprache des Finanzministers in den letzten Wochen war eine Illustration davon. Wie die Staatsbürgerinnen und Staatsbürger vor den Fernsehapparaten mit der Unterdrückung ihrer Aggressionen umgehen. Das können wir nur vermuten.

Aber darum geht es. Handlungshemmungen aller Art. Alle diese von der Politik fabrizierten Handlungshemmungen, in die wir gezwungen werden. Sie sind in der Geschichte bis weit zurück ins 18. Jahrhundert zurückzuverfolgen. Österreich auf der Seite der Reaktion. Metternich hätte es von seinen Finanzministern nicht anders erwartet, als es heute gemacht wird. Österreich war schon immer eine Gemeinschaft der Ohnmächtigen, denen über die Höhe der Steuern die Größe ihrer Ohnmacht mitgeteilt wird.

Natürlich kommt heute die neoliberale Selbstverständlichkeit der Zufügung von kulturellen Verlusten als Taktik noch dazu. Das ist der heutige Beitrag der heutigen Politik, und der fügt sich prachtvoll in das Szenario der schleichenden Totalentmächtigung. Dazu benutzt die Politik das Geld als Grundmaß des Werts. Auch des inhaltlichen. Als gäbe es keine Liebe, kein Leben, keinen Tod und keine Gefühle, ist das Geld zum Grundmaß der Bedeutung erhoben. Und. Gleichzeitig wird der Untergang des schon ruinierten Ganzen angedroht, um die politische und organisatorische Apathie zu erhalten. Also jene langweilige Ruhe, die dann wiederum Politikverdrossenheit genannt werden kann. Und so weiter ...

Geld als Grundmaß

So erledigen die doch demokratisch gewählten Politiker das Geschäft einer Vergangenheit, die im Neoliberalen eine säkularisierte Auferstehung feiern darf.

Das Burgtheater ist da ein idealtypisches Beispiel, wie der Auftrag auf Handlungshemmung mit der Zufügung des Verlusts kulturel- ler Selbstverständlichkeiten verzahnt werden kann. Und das jeden Abend.

Das Burgtheater. Spöttisch liebevoll wurde in Deutschland immer hervorgehoben, dass es am Burgtheater im Gegensatz zu den Theatern in Deutschland immer noch Geld gebe. Viel Geld. Und ja. Der Regisseur bekommt in Wien für eine Regiearbeit von sechs bis acht Wochen ungefähr das Doppelte des Jahresdurchschnittsgehalts eines Österreichers (Frauen haben davon nur 61 Prozent). Es kamen also alle gern ans Burgtheater und lieferten ab. Das Burgtheater galt und gilt als die Theaterinstitution.

Aber. Wir leben mit den alten Aufträgen in einer poststaatlichen Zusammenfügung, in der der Wert der Institutionen nicht mehr nach deren inhaltlicher Bedeutung festgestellt wird. Institutionen werden nach ihrem Geldwert bemessen. Die Institutionen sind dadurch wertlos gemacht worden. Das war der tiefere Sinn der Privatisierungs- und Deregulierungswelle nach 2000. Es war das Ziel, über die Zufügung der daraus entstehenden Verluste kultureller Selbstverständlichkeiten jene Ohnmacht zu vermitteln, die die Melancholie grundiert. Mit der Bedeutungslosigkeit von Institutionen wie Theater und Museen wurde nämlich auch jede Kritik bedeutungslos.

Landesherrliche Kompetenzen

Die Tatsache, dass Kunst und Kultur heute keine große Aufmerksamkeit von der Politik bekommen, liegt daran, dass dieser Krieg gegen den Geist in Kunst und Freiheit von der Politik gewonnen ist. Die verwaltungsstaatlichen Rahmenbedingungen sind so festgezurrt, dass es keine politischen oder organisatorischen Versuche mehr geben kann, dem Geist in Kunst und Freiheit einen Auftritt zu verschaffen. Es sei denn, die Politik kann das steuern.

Niederösterreich und die Gefolgschaft in Kunst und Kultur des Landeshauptmanns sind der Beweis dafür. Kunst und Kultur sind landesherrliche Kompetenz. Dass es Steuergeld ist, das da verteilt wird. Tja. Auch dieses Bewusstsein ist unter die strategisch zugefügten Verluste in diesem Krieg zu rechnen. Es ist oberflächlich fast erfreulich, dass ein Politiker sich noch mit der Kultur zeigen mag.

Aber zurück zum Burgtheater. Während in Deutschland die Theater eingespart werden und so an Inhalt und Form gleichermaßen "gespart" wird, war das in Wien anders. Hier wurde die Form der Institution durch Geld erhalten, während der neoliberale Selbstverlust erst sekundär vom Haus selbst geleistet wurde. Der inhaltliche Auftrag der Erhaltung des Geistigen in Kunst und Freiheit in der Erinnerung an das bürgerliche Theater wurde in Organisation und Arbeitsweise am Haus selbst verraten. Das war an den Inszenierungen selbst abzulesen. Diese Inszenierungen traten reich auf. Geistigkeit, Kunst und Freiheit. Sie waren die Ausrede geworden.

Wenn aber nun Kunst und Freiheit zum Attribut des Geldwerts gemacht werden, dann lösen sich Kunst und Freiheit einfach auf. Einnahmen erzielen. Das löscht jede Intention auf Kunst und Freiheit. Kunst und Freiheit können dann zwar noch für PR-Zwecke herhalten und in Programmheften beschworen werden. Aber. Bei Kunst und Freiheit und der Frage der Geistigkeit geht es darum, ob die jeweilige Gesellschaft überhaupt noch in Erinnerung behalten hat, dass Leben Lebendigkeit bedeutet. Alle Maßnahmen der Politik in der Ersetzung nicht messbarer Kunst und Freiheit durch das messbare Geld zielen genau auf diese Vernichtung von Lebendigkeit ab. Die Folge ist die Verstoßung in die Melancholie. Jeder Burgtheaterdirektor bisher hat in diesem Kampf auf der Seite der Politik mitgemacht und ist gegen die Lebendigkeit vorgegangen. Und. Das eigentliche Spiel der Macht. So, wie es das Theater in der Nachfolge des 18. Jahrhunderts dekonstruieren wollte. Dieses Theater fand im Kampf um die Positionen im Postinstitutionellen statt. Wie in den vielen und falschen Shakespeare-Inszenierungen all der Regisseure gab es letzthin da einen König und seine Familie. Die teilten sich die Macht und das Geld daraus. Dafür lieferten der König und seine Familie den Eliten jeden Abend die Blaupause, wie diese Eliten ihre Interessen durchsetzen können. Und erhalten.

Eine Feier der Befehlsform

Das Rezept dazu wurde auf zwei Ebenen vorgeführt. In Auswahl und Herstellung der Inszenierungen wurde jeden Abend dem Geld als Maß gehuldigt. Wie gesagt. Nur die teuersten Regisseure. Die teuersten Schauspieler. Die teuerste Ausstattung. Kunst und Freiheit waren schon in den 80er-Jahren vergessene Schwierigkeiten. Jeden Abend wurde dann das kostspielige Ergebnis hierarchischer Regieentscheidungen über die Mitarbeiter auf die Bühne gestellt. Eine Feier der Befehlsform war das. Und. Das Publikum wurde zum Komplizen im Anspruch gemacht, das Geld in dieser Form sehen zu wollen. Als Inszenierung.

In der Arbeitsweise griff das Maß des Gelds noch einmal in den Inhalt ein. Denn. Ein teurer Regisseur muss sein hohes Honorar in der Ausbeutung der Schauspieler und Schauspielerinnen und aller anderen Mitarbeiter argumentieren. Die Schauspieler und Schauspielerinnen können in einer Arbeitsweise, in der der Höchstbezahlte bestimmt, nur durch die Steigerung ihrer Ausbeutbarkeit Karriere machen. Eine Feier der Zurichtung ist das dann.

Auf ORF 3. Der Moderator fragt, ob die nunmehrige Burgtheaterchefin sich vorstellen könne, den entlassenen Intendanten Hartmann als den Regisseur Hartmann wieder zu engagieren.

In dieser netten kleinen Fragmentierung einer Person in sich selbst. Da wird uns die reaktionäre Strategie der Verteidigung der Eliten durch die Zerstörung kultureller Selbstverständlichkeiten gleich wieder vorgeführt. Weit weg läuft das alles. Ohne jedes Zutun muss dem zugeschaut werden. Die Umarbeitung der eigenen Aggressionen in politische Melancholie ist kräfteraubend und die Handlungshemmung unterstützend. Also.

Wer wirft den ersten Stein? (Marlene Streeruwitz, Album, DER STANDARD, 29./30.3.2014)