"Wenn man jemandem hilft, der in einer Notsituation ist, dann halte ich das nicht für Vitamin B": Eugen Freund, Listenerster der SPÖ bei der EU-Wahl, über Arbeitslose, denen er Jobs verschafft hat. 

"Es gibt in Afrika viele Beispiele von Ländern, wo sich die Situation dramatisch verbessert hat, wo sogar schon Europäer hinziehen."

Foto: Der Standard/Newald

STANDARD: Wie beurteilen Sie im Rückblick die EU-Sanktionen, die 2000 wegen Schwarz-Blau gegen Österreich verhängt wurden?

Freund: Ich habe das damals aus Amerika mitbekommen, war ORF-Korrespondent in Washington, und ich hab immer Österreich verteidigt - je weiter man weg ist, desto eher verteidigt man das Land. Wenn man allerdings in der Politik ist, verteidigt man das Land immer. Wenn wir uns die Situation heute in Ungarn und in Italien anschauen, muss man sich das genau überlegen, ob die Sanktionen gegen Österreich berechtigt waren.

STANDARD: Wieso sollte Ungarn an der Einschätzung etwas ändern?

Freund: Wie die ungarische Regierung gegen Minderheiten vorgeht, ist eines europäischen Staates nicht würdig.

STANDARD: Die EU erwägt schon seit längerer Zeit Sanktionen gegen Ungarn, warum passiert da nichts?

Freund: Ich bin Kandidat fürs EU-Parlament, ich kann nicht zu allem vorgefasste Meinungen haben.

STANDARD: Sie haben die Frage, ob die Sanktionen eine Erfolgsgeschichte waren, galant umschifft.

Freund: Erstens ist es 14 Jahre her, zweitens war ich damals nicht im Inland. Ich würde mich zu weit hinauslehnen, wenn ich sagen würde: Das war gut oder schlecht.

STANDARD: Wie stehen Sie zum Freihandelsabkommen mit den USA?

Freund: Prinzipiell ist es nichts Schlechtes, wenn sich zwei demokratische Systeme überlegen, wie sie auf dem Weltmarkt stärker auftreten können. Doch so, wie es verhandelt wird, diese völlige Intransparenz, ist absolut schlecht. Dass wir plötzlich mit genmanipulierten Lebensmitteln konfrontiert werden, ist ein Thema. Aber zum Glück gibt es auch in den USA Widerstände. Da wollen auch einige nicht, dass das Abkommen auf Kosten der Sozialstandards passiert.

STANDARD: Kein US-Präsident hat so viele Menschen abgeschoben wie Barack Obama. Sehen Sie hier ein Vorbild für Europa?

Freund: Nein, mit Sicherheit nicht. Wir halten die Menschenrechte ganz hoch.

STANDARD: Wer ist "wir"?

Freund: Wir Sozialdemokraten, wir Europäer.

STANDARD: Glauben Sie, dass Menschenrechte im Bereich der europäischen Asylpolitik tatsächlich hochgehalten werden?

Freund: Wenn wir uns die Situation in Lampedusa ansehen, wo es menschenunwürdige Situationen gegeben hat, kann ich die Frage nur mit Nein beantworten. Aber ich bin ja ein Verfechter einer Politik, wo wir schauen, dass in den Ländern Zustände geschaffen werden, damit Menschen erst gar keine Fluchtversuche wagen müssen. Und es gibt in Afrika viele Beispiele von Ländern, wo sich die Situation dramatisch verbessert hat, wo sogar schon Europäer hinziehen. Korruption muss eliminiert werden, und Arbeitsplätze müssen geschaffen werden - in dieser Richtung müssen wir aktiv werden.

STANDARD: Damit ist den Syrien-Flüchtlingen aber nicht geholfen.

Freund: Aber es gibt ja Regelungen für politische Flüchtlinge, das wissen Sie doch auch.

STANDARD: Sind diese Regeln ausreichend? Können Flüchtlinge, die Schutz brauchen, diesen in Europa uneingeschränkt beantragen?

Freund: Wenn sie den Kriterien entsprechen, die die Gesetze vorsehen, dann ja.

STANDARD: Wie sollen sie aber nach Europa gelangen?

Freund: Auf den Routen, die wir ohnehin immer sehen. Entweder kommen sie legal, indem sie bei der Botschaft um Asyl ansuchen ...

STANDARD: ... diese Möglichkeit gibt es nicht mehr.

Freund: Das geht nicht? Das könnte man doch einführen. Insgesamt müssen wir versuchen, diese Konfliktherde nicht entstehen zu lassen - und alles daran setzen, dass die Konflikte beigelegt werden. Da wird zu wenig unternommen.

STANDARD: Flüchtlinge wird es immer geben - und es hilft den Flüchtlingen im Nahen Osten jetzt wenig, wenn mittelfristig der Syrien-Konflikt beigelegt ist.

Freund: Wenn der Konflikt gelöst ist, hilft es ihnen schon.

STANDARD: Sollte Österreich mehr Flüchtlinge aufnehmen als die angekündigten 500?

Freund: Ja, absolut! 500 erscheint mir angesichts der Tatsache, dass überhaupt die 500 noch nicht gekommen sind, zu gering.

STANDARD: Wie viele sollte man aufnehmen?

Freund: 500 ist auf jeden Fall zu gering. Eine genaue Zahl kann ich jetzt nicht nennen.

STANDARD: Im "Profil"-Interview sagten Sie: "Ich kann mich insofern hineinfühlen in Arbeiter, indem ich immer wieder versucht habe, Leuten zu helfen. Wenn jemand mir erzählt hat, dass er arbeitslos ist, habe ich ein paar Leute angerufen, die ich kenne, und versucht, einen Job für ihn zu finden." In wie vielen Fällen ist Ihnen das gelungen?

Freund: Ich habe mich jedenfalls immer bemüht. Wie oft es mir gelungen ist, kann ich jetzt nicht sagen. Ich habe jetzt sicher nicht Hunderten eine Anstellung verschafft. Aber ich kann mit ehrlichem Herzen sagen, dass ich es gemacht habe und nicht viele negative Rückmeldungen von den Personen, um die es gegangen ist, gehört habe. Im einen oder anderen Fall wird es schon geklappt haben.

STANDARD: Manche kritisieren, dass man in Österreich Vitamin B braucht, um weiterzukommen. Sie scheinen damit kein Problem zu haben.

Freund: Wenn man jemandem hilft, den man kennt, der in einer Notsituation ist, dann halte ich das nicht für Vitamin B.

STANDARD: Aber das Gros der Arbeitslosen kennt keinen Eugen Freund, der ihnen hilft.

Freund: Ja, das weiß ich. Aber ich bin ja noch kein Politiker, der Rahmenbedingungen beeinflusst, und daher auch nicht für das Gros der Arbeitslosen verantwortlich.

STANDARD: Als Europaabgeordneter entscheiden Sie aber durchaus auch wirtschaftspolitische Agenden mit.

Freund: Ja, das stimmt, aber ich bin derzeit kein Europaabgeordneter, ich bin ein Kandidat fürs Europaparlament.

STANDARD: Aber doch mit der Ambition, ein Parlamentarier zu werden, oder?

Freund: Ja. Und deswegen sage ich ja, dass wir einen Kurswechsel in Europa brauchen. Wenn wir an tausend Milliarden Euro, die derzeit in Europa an Steuern hinterzogen werden, herankommen, wird man Arbeitsplatzprogramme finanzieren können. Außerdem brauchen wir die Finanztransaktionssteuer.

STANDARD: Wenn Sie an die Stadt Straßburg denken, worauf freuen Sie sich da?

Freund: Warum gerade Straßburg? Oder meinen Sie Brüssel?

STANDARD: An Straßburg, wo das Europaparlament steht.

Freund: Ich war vor 36 Jahren dort und habe wenig in Erinnerung. Ich weiß nur, wir haben ein Foto gemacht mit dem Außenminister Pahr vor dem Europarat und da sind lauter alte Männer mit grauen Anzügen auf dem Bild gestanden. Jetzt freue ich mich darauf, dass dieses Bild vielfältiger geworden ist - im Sinne von mehr Jungen und Frauen. Nicht mehr nur alte Männer in grauen Anzügen. (Maria Sterkl, DER STANDARD, 31.3.2014)