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WSJ.de: Leaking scheint das neue Lieblingshobby von Geheimdiensten zu sein – siehe die Enthüllungen in der Türkei oder das abgehörte „Fuck the EU"-Telefongespräch. Wie sehen Sie diese Entwicklung?

Assange: Ich glaube, dass das eine sehr positive Entwicklung ist, dass Geheimdienste in unsere Fußstapfen treten und ihre geopolitischen Kämpfe mit der Wahrheit austragen. Wir haben das mehrfach in der Ukraine gesehen – natürlich mit dem berühmten Telefongespräch zwischen dem US-Botschafter in der Ukraine und Nuland vom US-Außenministerium. Und nun sehen wir dasselbe in der Türkei. Es ist interessant darüber zu spekulieren, wer der Mitlauscher war. Ob das Russland war oder der ukrainische Geheimdienst – doch in beiden Fällen waren es sicher Geheimdienste. Russland würde davon geopolitisch profitieren.

WSJ.de: Auf der anderen Seite ist es seit den Irak- und Afghanistan-Dokumenten um Wikileaks etwas still geworden. Edward Snowden sucht sich klassische Medien für seine Geheimdienstenthüllungen aus. Ist die Zeit von Wikileaks und Whistleblower-Plattformen schon wieder vorbei?

Assange: Das glaube ich nicht. Wir haben fast eine Millionen Dokumente im vergangenen Jahr publiziert und erwarten, dieses Jahr dieselbe Anzahl zu veröffentlichen. Der Guardian sagt, dass Snowden die Absicht hat, uns Informationen zu übermitteln.

WSJ.de:Gibt es derzeit genug Leute bei Wikileaks, um diese Masse von Dokumenten durchzuarbeiten?

Assange: Wenn wir von einer Million Dokumenten pro Jahr sprechen, dann gibt es dafür nicht genug Leute in der gesamten Medienbranche. Wir haben insgesamt bisher mehr als acht Millionen Dokumente veröffentlicht, die alle auf Wikileaks.org durchsuchbar sind. Was aber sehr wichtig ist: Die Menge an Informationen über die Welt wird von Regierungen und Organisationen begrenzt, weil diese nicht wollen, dass die Öffentlichkeit davon erfährt. Ihre institutionelle Kapazität überholt gerade die Kapazität der Presse, die versucht, aus diesen Informationen Sinn zu ziehen. Für uns bedeutet das, dass wir den journalistischen Prozess zu einem gewissen Grad noch weiter ordnen müssen. Das haben wir getan mit der Suchfunktion, Landkarten, Indizes und ähnlichem – auch wenn das natürlich kein Ersatz für eine engagierte investigative Recherche ist.

WSJ.de: Wie ist Ihre Beziehung zu Edward Snowden? Arbeiten Sie zusammen? Was sagen Sie zu den Vorwürfen einer zu großen Nähe zwischen Snowden und dem russischen Geheimdienst FSB?

Assange: Wikileaks als Organisation hat beachtliche Ressourcen in die Sicherheit von Herrn Snowdens Asyl investiert. Er hat der Geschichte einen sehr wichtigen Dienst erwiesen – für die Privatsphäre und für eine verfassungsgemäße US-Regierung. Zu seiner derzeitigen Lage in Russland dürfen wir nichts sagen. Nur so viel: Wir haben 40 Tage mit ihm am Flughafen in Moskau und etwa drei bis vier Monate in Russland verbracht, um sicherzustellen, dass er sich zu keinerlei Mitarbeit gegenüber Geheimdiensten verpflichtet – auch nicht gegenüber dem russischen Geheimdienst. Wir waren vor Ort. Herr Snowden ist ein unabhängiger Akteur. Russland hat in diesem Fall das Richtige getan, indem Sie ihm Asyl gewährten.

WSJ.de: Lassen Sie uns über Snowdens Enthüllungen sprechen: Vertrauen Sie Verschlüsselung? Glauben Sie, dass es jemals wieder ein vertrauenswürdiges Internet geben wird?

Assange: Die National Security Agency hat laut den von Snowden veröffentlichten Dokumenten ein Budget von schätzungsweise 350 Millionen Dollar im Jahr eingeplant, um die Integrität von Unternehmen zu kompromittieren, die Verschlüsselung anbieten. Das ist viel Geld. Es gibt etwa zehn verschiedene Produkte auf der Welt, die in diesem Gebiet führend sind. Oder um es anders zu formulieren: Das sind 35 Millionen Dollar Bestechungsgeld für jedes dieser Unternehmen. Die Frage ist, ob viele dieser Firmen so ein Angebot ausschlagen. Verschlüsselung an sich, der Mathematik, vertraue ich. Verschlüsselung hat Snowden während der größten Fahndung, die die Welt je gesehen hat, geschützt und die NSA und andere US-Geheimdienste besiegt. Unsere Verschlüsselung war das Rückgrat dieser Operation. Daher: Ja, ich vertraue Verschlüsselung auf dem Niveau, auf dem wir sie einsetzen. Doch wenn andere Organisationen Verschlüsselung umsetzen, müssen wir auch auf die Organisation achten und wie sie kompromittiert werden könnte.

WSJ.de: Sie haben gesagt: „Wenn Sie ein iPhone, ein Blackberry oder Google benutzen, dann sind Sie im Arsch". Was benutzen Sie, welche Geräte setzen Sie ein?

Assange: Ich würde Ihnen gerne all die verschiedenen Sicherheitstechniken und Produkte, die wir nutzen, nennen – aber das würde natürlich den Arbeitsaufwand der Organisationen, die uns ausspionieren, reduzieren. Wenn wir mit der Umgebung kommunizieren, müssen wir natürlich die Telekommunikationssysteme nutzen, die andere auch nutzen. Ansonsten haben wir andere Systeme.

WSJ.de: Kommen wir auf Ihre persönliche Situation in der Botschaft von Ecuador in London zu sprechen. Denken Sie manchmal, dass Sie die Botschaft nie wieder verlassen werden?

Assange: Ich bin zuversichtlich, dass wir langsam aber sicher den Konflikt gewinnen, dessen Symptom meine Situation in der Botschaft ist. Das wird klar, wenn man sich ansieht, was sich politisch in den USA im vergangenen Jahr getan hat – aber auch in Schweden, in Australien – und sogar in Großbritannien, wo das Gesetz jetzt geändert wird, um zu verhindern, dass eine solche Situation wieder eintritt. Gleichwohl sollte man die Schwierigkeiten, denen sich Wikileaks als Organisation gegenübersieht, nicht unterschätzen. (Stephan Dörner, WSJ.de/derStandard.at, 4.4.2014)