Karlheinz Brandenburg, der wichtige Teile des MP3-Kompressionsverfahrens mit erarbeitete, ist für die Gleichbehandlung aller Datenströme, befürwortet aber größere tarifliche Flexibilität für Provider.

Foto: Fraunhofer IDMT

Das Internet begleitet den Alltag vieler Menschen seit zwei Jahrzehnten und ist in dieser Zeit ein unverzichtbares Kommunikationsmittel geworden. An seiner Entstehung und Fortentwicklung waren zahlreiche Menschen beteiligt, die mit ihren Erfindungen maßgeblich am medialen Wandel mitgewirkt haben.

Einer von ihnen ist Karlheinz Brandenburg. Der Spezialist für Elektrotechnik arbeitet seit 1982 an Verfahren zur Audiocodierung. Gemeinsam mit anderen Forschern vom Fraunhofer IIS erarbeitete er wesentliche Teile des"MPEG Audio Layer III". Unter dem Kurznamen und der Dateiendung "MP3" etablierte sich dieser Standard im Laufe der 1990er-Jahre, da mit ihm eine starke und verlustarme Audiokompression zum einfachen Austausch von Musik über das Netz möglich wurde und die Musikindustrie damit grundlegend verändern sollte.

Hall of Fame

Gemeinsam mit Persönlichkeiten wie dem "Father of DSL" John Cioffi, dem Co-Entwickler des frühen Webbrowsers "Mosaic", Eric Bina oder dem 2013 verstorbenen IT-Forscher und Visionär Douglas Engelbart wurde er nun von der Internet Society in die "Internet Hall of Fame" aufgenommen. Die Zeremonie fand im Rahmen des IT Fest 2014 in Hongkong statt.

In einer Paneldiskussion betonte Brandenburg die Wichtigkeit von Interoperabilität und gemeinsamen statt konkurrierenden Standards. Dies wirft unweigerlich auch die Frage nach den "Nutzungsbedingungen" für das Web auf. Aktuell ist dabei das Thema Netzneutralität, zu dem der WebStandard mit Brandenburg gesprochen hat.

Status Quo

In den USA musste die Federal Communications Commission gegen den Telekombetreiber Verizon eine Niederlage einstecken. Zumindest mit ihrer aktuellen Formulierung sind dort die Richtlinien, welche die Gleichbehandlung allen Datenverkehrs gewährleisten sollen, nicht aufrecht zu erhalten. Anders in Europa: Dort optierte das EU-Parlament mehrheitlich – und für manche doch überraschend – für eine Beibehaltung des Prinzips und strengere Formulierungen hinsichtlich Ausnahmen in der kommenden Überarbeitung der Telekommunikationsrichtlinien.

Untergrabung

Auch Brandenburg spricht sich prinzipiell dafür aus, dass es keine Bevorzugung bestimmter Datenströme durch ISPs gibt. Er warnt jedoch davor, dass es eine Umgehung der Netzneutralität in versteckter Form bereits gäbe. "Es werden Geräte produziert, die auf Deep Packet Inspection spezialisiert sind und Datenverkehr gezielt beeinflussen können", sagt der Leiter des Fraunhofer Instituts für Digitale Medientechnologie. "Irgendjemand muss diese wohl kaufen, auch wenn alle betonen, nichts dergleichen zu tun."

Schwieriger Spagat

Netzneutralität dürfe allerdings keine Einbahnstraße sein. Derlei Regulierungen sollten nicht nur die Interessen der Nutzer berücksichtigen, so Brandenburg. "Diejenigen, die in Technologie und Infrastruktur investieren, sollten auch die Möglichkeit haben, ihr Geld wieder zu erwirtschaften".

Ein Spagat, der, wie auch der MP3-Erfinder zugesteht, nur schwer zu meistern ist. Eine mögliche Lösung sieht er darin, den Providern eine größere Diversifizierung ihrer Tarife zu erleichtern. "Ich, als jemand der nur wenig Datenvolumen verbraucht, bin nicht glücklich damit, gleich viel zahlen zu müssen wie jemand, der etwa häufig HD-Filme streamt."

Gefährliche Ahnungslosigkeit

Probleme verortet Brandenburg auch in der Politik. Viele Politiker, so sein Attest, scheinen nur wenig Ahnung vom Netz oder den dahinter liegenden Technologien zu haben. Gerade bei solchen grundsätzlichen Diskussionen wie jener um Netzneutralität bietet dieser Umstand Potenzial für folgenschwere Konsequenzen. "Wenn Entscheidungsträger von einer Materie zu wenig Kenntnis besitzen", sagt Brandenburg, "ermöglicht dies die einfache Durchsetzung von Partikularinteressen, oft noch bevor überhaupt jemand genauer hinschaut." (Georg Pichler aus Hongkong, derStandard.at, 08.04.2014)

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