"Tomodachi Life" ist in Japan bereits ein Hit.

Foto: Tomodachi Life

Vielleicht geht es Ihnen wie mir. Ich wünsche Ihnen jedoch, dass es Ihnen nicht so geht. Denn ich kann Nintendos Avataren, den Miis, nichts abgewinnen. Ich würde sogar soweit gehen, dass sie zu den uncharmantesten Figuren gehören, die die Branche auf der Suche nach virtuellen Abbildern für Spieler je hervorgebracht hat.

Gleichzeitig muss ich eingestehen, dass ich keine Ahnung von Avatarentwicklung habe und Miis trotz meines gegensätzlichen Geschmacks seit ihrer Geburt die Herzen von dutzenden Millionen Gamern gewinnen konnten. Und so sehr ich diese profillosen Luftballonköpfe mit Emoticonmimik für eine momentane Verwirrung des "Super Mario"-Schöpfers Shigeru Miyamoto halte, weiß ich, dass Nintendo bei einer fast zehnjährigen Schaffungsphase des dahinterliegenden Konzepts nichts dem Zufall überlassen hat. Es ist einer dieser "WTF"-Momente, in denen man die Welt nicht versteht und alle anderen den Durchblick haben.

Abgedrehtes Leben

So wird Sie auch nicht überraschen, dass sich meine Stirn unangenehm verkrampft in Falten legte, als ich Ende der Woche hochgradig verdutzt das Präsentationsvideo zu "Tomodachi Life" (z.D.: Freunde Leben) ansah. In einer virtuellen Welt lässt Nintendo hier die kreierten Miis aufeinander stoßen, die basierend auf ihren individuellen Eigenschaften ein Eigenleben entwickeln. Man verleiht seinem Avatar eine befremdlich verzerrte Computerstimme und Form und wartet wie ein Besucher im Zoo darauf, dass im Zusammenspiel mit anderen hinzugefügten Miis etwas passiert. Natürlich darf man etwas interagieren und dabei nachhelfen, dass Eugen und Karin einander am Strand kennenlernen, Martin und Alex Rockstars werden oder Zsolt und Anna eine Pizza teilen.

So oder so, entsteht ein kleines Paralleluniversum, das man im Hosentaschenformat am 3DS überall hin mitnehmen kann.

Magische Anziehung

Der erste Gedanke in meinem zynischen Gehirn wollte es schon als "Second Life" für verstümmelte "Sims" abtun, bis mein Verstand mit der Tatsache konfrontiert wurde, dass seit dem digitalen Urknall in Japan im April 2013 bereits mehr als 5,5 Millionen Spieler begeistert an ihrem Zweitleben werken. Irgendeine Zutat muss ich erneut übersehen haben, die Spieler massenweise süchtig macht. Wieder hat es Nintendo geschafft, mich vor den Kopf zu stoßen und mich nun wie einer dieser Tiergartengäste mit gespannter Erwartungshaltung den Startschuss am 6. Juni in Europa und den USA herbeisehnen zu lassen.

Es ist die Art virtuelles Dasein, die ich nicht führen wollte, da ich all dies lieber in Echt erleben würde - mit anregenderen Konversationen und schönerer Grafik. Wir sprechen hier schließlich nicht von der Matrix oder V-World. Und dennoch kann ich meine Faszination für "Tomodachi Life" nicht verleugnen. Es reizt mich persönlich in keiner Weise und schafft es umso mehr mich zu verwundern. Ich verstehe nach den Miis auch Nintendos jüngsten, die Massen begeisternden Zaubertrick nicht. Umso tiefer muss ich mich davor verbeugen. (Zsolt Wilhelm, derStandard.at, 12.4.2014)

Video: Was ist "Tomodachi Life"?

Die Top 5 der Woche

  1. Fünfjähriger deckte massive Xbox One-Sicherheitslücke auf
  2. Eine Reise durch die wundersame Geschichte der Videospiele 
  3. Titan City: Fan erschuf New York in 18 Monaten in "Minecraft" 
  4. PlayStation 4 wird "PlayRoom" für Amateur-Pornodarsteller 
  5. Fotorealistische Spielegrafik made in Japan