Als Jungmediziner, der für die klinische Ausbildung Österreich verlassen hat, habe ich die mediale Debatte über den Ärztemangel in Österreich, Arbeitszeiten und Sparmaßnahmen im Gesundheitswesen mit Interesse verfolgt. Seit langem suchen viele meiner Kolleginnen und Kollegen Stellen im Ausland. Dies ist mittel- und langfristig höchst problematisch und kostenintensiv. Österreich hat das teure Medizinstudium bezahlt, und anschließend wandern viele Absolventen sofort nach dem Studienende nach Deutschland, England, in die Schweiz und andere Länder ab.

Lange Arbeitszeiten

Als Gründe für die Emigration werden oft lange Arbeitszeiten und schlechte Bezahlung genannt. Aus Gesprächen mit Kollegen, die ein Studium in Österreich absolviert haben und aktuell im In- oder Ausland tätig sind, geht hervor, dass die echten Beweggründe jedoch anderer Natur zu sein scheinen, denn die gravierendsten Probleme in Österreich werden tatsächlich selten genannt:

  • Die unscharfe Aufgabenverteilung zwischen Ärzten und Pflege sowie die enorme, stetig zunehmende Belastung mit administrativen und patientenfernen Tätigkeiten.
  • Eine in der Regel unstrukturierte, schlechte Ausbildung zum Facharzt oder praktischen Arzt (=Assistenz- oder Turnusarzt).
  • Die fehlende Transparenz in der Stellenvergabe ("Vitamin B").

Viel zu lange leistete man sich in Österreich den fragwürdigen Luxus, "zu viele" Ärzte zu haben. Dadurch waren Arbeitsbedingungen irrelevant, da jederzeit viele willige Ersatzarbeitskräfte bereitstanden. Mit Einschränkung der Studienplätze und einer kommenden Pensionierungswelle zeichnet sich jedoch in vielen Regionen bzw. Fachgebieten bereits jetzt ein enormes Versorgungsproblem ab, das unter anderem durch Verbesserung der Arbeitsbedingungen abgeschwächt werden muss.

Als Jungarzt ist man meist "Systemerhalter" in der zweiten oder dritten Reihe der ärztlichen Rangordnung. Auf Stationen verfolgt man Visiten als interessierter Beobachter, anstatt selbst in der Verantwortung zu stehen. Und Tätigkeiten wie Blutentnahmen oder das Anhängen von Infusionen sind zweifelsohne wichtig, aber dafür braucht es kein akademisch ausgebildetes Personal. So verbringt man wertvolle Arbeitszeit mit Tätigkeiten, die in allen anderen Ländern ausschließlich von Pflege- oder Sekretariatspersonal kompetent übernommen werden. Die Verantwortung kommt häufig erst im Nachtdienst, und zwar unter dem Motto "learning by doing". Es fehlt in Österreich also die "supervidierte Verantwortung" im geregelten Tagesbetrieb, ein Faktum, das jeweils schnell heruntergespielt wird, wenn im Nachtdienst etwas passiert.

Ein nicht zu unterschätzender weiterer Punkt für die zur Abwanderung von Jungmedizinern führende Frustration, der auch in Gesprächen mit Kollegen immer wieder genannt wird, ist die intransparente Stellenvergabe. Nicht selten werden begehrte Stellen nicht an die besten Bewerber, sondern an Personen mit entsprechenden Kontakten vergeben. Hearings, bei denen mehrere Bewerber verglichen werden können, sind in anderen Metiers selbstverständlich, bei Besetzungen von ärztlichen Ausbildungsstellen aber kaum anzutreffen.

Die oft mangelnde Objektivität erzeugt Frust, ist dem Leistungsgedanken abträglich und bringt auf lange Sicht entsprechende Qualitätseinbußen mit sich.

Es liegt mir fern, alles schlechtzumachen, da es einen riesigen Qualitätsunterschied zwischen Spital A und B geben kann und sich viele Ärztinnen und Ärzte in leitenden Positionen entgegen allen Widrigkeiten für ein gutes Arbeitsklima und entsprechende Entwicklungsmöglichkeiten einsetzen. Mit anderen Worten, es gibt gute Abteilungen und Ärzte nicht wegen, sondern trotz des österreichischen Systems. Aber die Bezeichnung Ausbildung ist in der Regel nicht zutreffend, es ist mehr ein institutionalisiertes und persönliches Durchwurschteln.

Zusammenfassend gesagt, ist das Arbeitsleben als Jungmediziner in Österreich oft frustrierend. Rasche Besserung winkt durch Stellenwechsel ins nahe oder ferne Ausland, wo weniger oder keine pflegerischen Tätigkeiten übernommen werden müssen, die Administration oft auf ein erträgliches Ausmaß beschränkt ist, es ein klares Ausbildungskonzept mit erforderlichen Mindeststandards gibt und die Stellenvergabe nach objektiven Kriterien erfolgt.

Eine Reform dieser wesentlichen Punkte wäre kaum eine Frage des Geldes, sondern in erster Linie eine des politischen Willens der Entscheidungsträger, sofern diese zur Einsicht gelangen, dass es tatsächlich enorme, aber behebbare Probleme gibt.

Mehr Potenzial

Allen Reformbestrebungen widerspricht die Errichtung einer zusätzlichen medizinischen Universität; eine neu zu errichtende gewaltige Verwaltung wird sehr viel Geld verschlingen. Der wesentliche Effekt einer zusätzlichen Universität wäre, dass noch mehr Ärzte (sowohl Österreicher als auch Deutsche) für das Ausland ausgebildet würden, zur Gänze auf Kosten des österreichischen Steuerzahlers. Es bleibt zu hoffen, dass der durch die Studienreform und die Abwanderung bedingte Ärztemangel Anlass für schon längst notwendige Reformen gibt, denn Österreich hätte viel mehr Potenzial.  (Ulrich Matt, DER STANDARD, 12.4.2014)