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Der Weltklimarat IPCC hat am Wochenende einen neuen Bericht vorgelegt. Für Maßnahmen gegen die Erderwärmung bleibt nicht mehr viel Zeit. 

Foto: REUTERS/Steffi Loos

Allen bisherigen Klimaschutzmaßnahmen zum Trotz wuchsen die Treibhausgasemissionen vom Jahr 2000 bis 2010 weltweit um durchschnittlich 2,2 Prozent pro Jahr und damit erheblich schneller als von 1970 bis 2000. Ohne wirksame Gegenmaßnahmen steuert die Welt auf globale Erwärmung von drei bis fünf Grad Celsius (°C) zu, etwa doppelt so viel wie das international akzeptierte Ziel von maximal plus zwei °C.

Das Zwei-°C-Ziel ist keineswegs zufällig: Bei einer stärkeren Erwärmung steigt das Risiko, sogenannte "Kipp-Punkte" anzustoßen. Das sind nichtlineare Veränderungen, etwa das Absterben von Wäldern oder das Auftauen von Permafrostböden. Dies würde große Mengen Treibhausgase freisetzen und den Klimawandel weiter beschleunigen. Ein anderes Beispiel ist das Abschmelzen von Eisschilden, etwa in Grönland, wodurch der Meeresspiegel um mehrere Meter ansteigen könnte.

Die Frage ist müßig, ob die Anpassung an den Klimawandel wichtiger ist als dessen Eingrenzung oder umgekehrt. Beides ist nötig. Nur durch rasches und entschlossenes Handeln kann die globale Erwärmung so begrenzt werden, dass die Folgen des Klimawandels durch Anpassung halbwegs beherrscht werden können.

Je länger zugewartet wird, desto utopischer werden die Möglichkeiten zur Begrenzung des Klimawandels. Wenn wirksamer Klimaschutz weitere zehn bis 15 Jahre verzögert wird, müssten in der Folge im großen Maßstab Maßnahmen wie Erdmanagement oder Kohlenstoffabscheidung aus der Atmosphäre umgesetzt werden. Ein Beispiel für Erdmanagement ist die Verringerung der Sonneneinstrahlung, etwa durch Einbringung von Aerosolen in die Atmosphäre. Eine Option zur Abscheidung und Lagerung atmosphärischen CO2 besteht in einer Kopplung von Bioenergieverbrennung mit Abscheidung von Kohlenstoff und dessen Lagerung in Öl- oder Erdgaslagerstätten. Die Technologien sind umstritten, weil kostspielig, nicht ausgereift und riskant.

Um das Zwei-°C-Ziel zu erreichen, müssten die globalen Treibhausgasemissionen bis 2050 um 40-70 Prozent reduziert werden, danach praktisch auf null. Dabei kommt den Industrieländern eine entscheidende Rolle zu. Zwar steigen in den Industrieländern selbst die Emissionen nur mehr langsam - sie müssten aber stark sinken, um das Zwei-°C-Ziel zu erreichen. Zudem importieren die Industrieländer im zunehmenden Ausmaß Produkte, deren Herstellung anderswo die Emissionen in die Höhe treibt. Nicht zuletzt müssen sie mit gutem Beispiel vorangehen und mittel- und langfristig aus der Nutzung fossiler Energieträger wie Kohle, Erdöl und Erdgas aussteigen.

Der Begrenzung des Ressourcenverbrauchs kommt eine entscheidende Rolle zu, wenn der Umbau des Energiesystems flexibel und regional angepasst erfolgen soll. Bei weiter steigendem Ressourcenverbrauch können klimafreundliche, erneuerbare Energie- und Rohstoffquellen nicht schnell genug ausgebaut werden, um die Emissionen ausreichend zu senken. Es gibt gute Gründe, großtechnischen Lösungsvorschlägen mit Skepsis zu begegnen, die die Illusion erzeugen, es wäre möglich, die bisherigen Wachstumstrends ohne negative Folgen auf Umwelt und Klima fortzusetzen. Die Diskussion über die sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Risiken der Agrartreibstoffe, etwa für Ernährungssicherheit, Ökosysteme und Biodiversität, ist ein gutes Beispiel.

Damit steht das Wachstums- und Entwicklungsmodell der Industrieländer insgesamt zur Debatte. Es wäre unsinnig zu glauben, dass ein Umbau des Energiesystems, der Rohstoffversorgung, der Muster von Produktion und Konsum ohne weitreichende Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft erfolgen könnte. Die nötigen Technologien sind vorhanden oder in Entwicklung. Jetzt geht es darum, Weichen zu stellen, etwa durch klimafreundlichere Energie-, Siedlungs- und Verkehrsinfrastrukturen und sozial-ökologische Steuerreformen.

Der Umbau zur klimaverträglichen Gesellschaft mag Ängste wecken. Doch gerade in der größten Wirtschafts- und Finanzkrise der letzten Jahrzehnte stellt sich die Frage, wie attraktiv eine Fortsetzung des industriellen Wachstumsmodells ist. In den letzten 40 Jahren hat sich das reale Bruttoinlandsprodukt in Österreich mehr als verdoppelt. Der Konsum ist gestiegen, die Lebenserwartung auch, es gibt neue technische Möglichkeiten - aber haben Lebenschancen, Zufriedenheit, sozialer Zusammenhalt oder Lebensqualität tatsächlich so stark zugenommen?

Eine Reduktion des Ressourcenverbrauchs bringt nicht nur Vorteile für den Klimaschutz, sondern mitunter auch in anderen Bereichen, etwa für die Gesundheit. So wäre es nicht nur ein Beitrag zum Klimaschutz, wenn weniger Fleisch und andere tierische Produkte gegessen würden als hierorts üblich, es wäre auch gesünder. So wichtig derartige individuelle Beiträge sind - für die Bewältigung der Klimaprobleme ist es damit nicht getan. Der Übergang zur klimafreundlichen Gesellschaft wird nur stattfinden, wenn er auf allen Ebenen entschlossen vorangetrieben wird. (Helmut Haberl, DER STANDARD, 14.4.2014)