Der Ballsaal von Budapests erstem Grand Hotel war jahrelang ein Kino. Im Café des Hotels gab es die ersten bewegten Bilder der Brüder Lumière zu sehen.

Foto: Corinthia Hotel Budapest

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Bekanntermaßen kommt man nach Budapest sehr einfach mit dem Zug - von Wien siebenmal täglich, aus Salzburg und Linz sechsmal täglich, aus Innsbruck zweimal täglich und aus Graz einmal täglich. Günstigstes Angebot der ÖBB ist die sogenannte Sparschiene ab 19 Euro in eine Richtung. Die "Budapest-Karte" zu Benützung der öffentlichen Verkehrsmittel und für reduzierte Museumseintritte ist in vielen Varianten zu haben - etwa für 24 Stunden um rund 15 Euro. Vor wenigen Tagen wurde die U-Bahn-Linie M4 zwischen Buda und Pest eröffnet. Die Architektur der Stationen ist sehenswert - unbedingt einmal unter der Donau durchfahren!

Das frühere Budapester Grand Hotel Royal heißt heute als Teil einer Hotelgruppe Corinthia Hotel Budapest. Der Ballsaal, in dem die ersten Filmaufführungen in Ungarn gezeigt worden waren, war ab 1915 das Royal Apollo Kino und ist mittlerweile wie ursprünglich ein Ballsaal. Ein Gustostückerl in diesem Haus ist heute wieder die Badehalle, die den bekannteren (etwa im Hotel Gellért) um nichts nachsteht. Das 1886 eröffnete Gebäude mit feinen Art-déco-Elementen und einem 15-Meter-Becken ist erst in den letzten Jahren vollständig und sehr gefühlvoll renoviert worden. Doppelzimmer ohne Frühstück ab 135 Euro.

Foto: Corinthia Hotel Budapest

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Wes Andersons Film "Grand Budapest Hotel" läuft derzeit in vielen österreichischen Kinos. Während das heutige Corinthia Hotel und das Hotel Gellért in Budapest ein wenig darum rittern, welches Haus die authentischere Vorlage sei, verriet Anderson, dass ihn die pinke Fassade eines Hotels im tschechischen Karlsbad inspiriert hatte. Auch die Figur des Concierge im Film entstammt einer Zusammenschau 14 verschiedener Männer, die diesen Beruf ausüben, darunter Michael Moser aus dem Wiener Hotel Imperial. Angesiedelt ist das Filmhotel in einem fiktiven Karpatenstaat nach dem Vorbild Ungarns in der Zwischenkriegszeit.

Der junge ungarische Kellner Tibor Meskál versuchte ruhig zu schauen. Stückweise, meterweise näherte sich der Wagen der Grenze nach Italien. Neben ihm am Steuer Rino, aus dem Friaul, den er seit wenigen Tagen kannte. Im Fond des Alfa Romeo zwei weitere Ungarn. Wenige Meter hatten sie noch auf jugoslawischem Staatsgebiet.

Alle vier waren sie auf Urlaub in Opatija gewesen. Unter dem Namen Abbazia hatte Opatija gut zwei Jahrzehnte davor zu Italien gehört. Fünfundzwanzig weitere Jahre früher war es eines der mondänsten Seebäder der österreichischen Riviera gewesen. Damals hätte der Budapester Tibor Meskál keine Grenze im Hinterland von Triest überschreiten müssen, schon gar nicht eine des sogenannten Eisernen Vorhangs.

Hotelwissen an der Grenze

Ihr Plan war weder sicher noch gut. Er war verrückt, allein das war seine Chance. Sie hatten ein italienisches Kennzeichen und Rino hinter dem Lenkrad. Rino lächelte und machte unentwegt Witze in einer Mischung aus Englisch, Italienisch und Deutsch, die Tibor mit seinem Hotelwissen in diesen Sprachen unter normalen Umständen bestenfalls zu einem Drittel verstanden hätte. Nun, drei Wägen vor dem jugoslawischen Grenzbalken, verstand Tibor kein Wort und lachte.

"Tutti italiani?!" Der jugoslawische Zöllner war stolz auf seine paar Brocken Italienisch und vielleicht froh über den Wagen aus dem westlichen Nachbarland, der ihm Arbeit ersparen könnte. - "Si ... tutti italiani!"

Auf eine solche Frage hatten sie gehofft - sowie auf ein Nicken des Grenzbeamten zum Angebot Rinos, alle vier Pässe auf einmal zum Abstempeln in den gläsernen Verwaltungsturm hinüberzutragen.

Der Grenzer nickte, Rino lachte, und Tibor lachte auch. Nur Rinos Pass war echt, ihre lediglich Attrappen. Im Turm drüben war dem aus der Kolonne scherenden Wagen und der Anzahl der Insassen zum Glück keine größere Aufmerksamkeit gewidmet worden. Rino ließ seinen Pass stempeln und winkte dem Zöllner beim Zurückkommen strahlend zu.

Es war das Jahr 1966. Zehn Jahre davor hatten die Sowjets den ungarischen Volksaufstand niedergeschlagen. Der Westen und die Nato sahen tatenlos zu, doch als ungarischer Flüchtling konnte man im Unterschied zum Bollwerk heutiger EU-Grenzen im Westen auf offene Arme hoffen.

Tibor Meskál, der kurz davor zum besten Jungkellner Ungarns gekürt worden war, schlüpfte tatsächlich durch den Eisernen Vorhang. Die ersten Tage in Italien verbrachte er in einem Flüchtlingszentrum oberhalb Triests. Wenige Monate später, während deren er sich in Rom als Hotelboy verdingt hatte, bekam er ein Arbeitsvisum für Australien, wo er in den folgenden drei Jahrzehnten als Chefkellner und Barchef auch Marlene Dietrich und Queen Elizabeth in den besten Hotels Melbournes und Sydneys bediente.

Das Handwerk dafür hatte Tibor Meskál im Budapester Grand Hotel Royal gelernt. Er war einer der ersten Lehrlinge zur verspäteten Wiedereröffnung 1961 gewesen - der zweiten innerhalb von acht Jahren. Ursprünglich war nach dem Massaker durch die Rote Armee, bei dem sowjetische Panzer die Aufständischen des Volksaufstandes im Hotel Royal stundenlang unter Feuer genommen hatten, schon 1958 das angepeilte Wiedereröffnungsdatum gewesen.

Erstes Grand Hotel Ungarns

1894 - zum Startschuss des Hotelbaus - war das Ziel klarer: Zwei Jahre später sollte die Weltausstellung anlässlich Ungarns Millenniums in Budapest stattfinden. Mehr Zeit hatte man damals nicht gehabt. Trotzdem gelang eine Punktlandung. Am 30. April 1896, genau einen Tag vor dem Weltausstellungsauftakt, ging auf der neuen Pester Ringstraße das Royal in Betrieb. Es war das erste Grand Hotel Ungarns, und es war eine Welt voller moderner Wunder.

Von Dampfmaschinen betriebene Aufzüge brachten die Gäste in die fünf Stockwerke des Hauses, jedes der 350 Zimmer war mahagonimöbliert, städtische Telefonverbindungen standen in jeder Etage zur Verfügung, während die große Telefonzentrale in der Lobby Gespräche in die ganze Welt ermöglichte. Damals gab es im Budapester Grand Hotel Royal eine eigene Post, ein Geldinstitut, ein Kartenbüro, einen Friseur - und in den zum Ring hin offenen Innenhöfen des E-förmigen Gebäudes standen Palmen aus Cannes.

Die Welt war hier zu Gast, und es war eine Welt voller Gegensätze. An keinem anderen Ort als in einem Grand Hotel wurde das deutlicher: Da sirrten die Telefonleitungen in dessen Bauch, tauchte elektrisches Licht alles in neue Helligkeit, und maschinell betriebene Aufzüge glitten von einem Stockwerk zum anderen, während die klassizistische Fassade ganz selbstverständlich den Prunk der großen Schlösser nachahmte.

Die Explosion dieser Welt aber hatte längst begonnen. In Zeitlupe konnte man ihr zusehen - oder in größter Geschwindigkeit. Noch geschah es unter den Mänteln des Alten: Kaiser Franz Joseph eröffnete unweit des Grand Royal am 2. Mai die erste U-Bahn-Linie des Kontinents und gab ihr seinen Namen, während im Café des neuen Hotels ein Konzessionär der Brüder Lumière, Eugène Dupont, die Zuseher mit Laufbildern einfahrender Züge erstaunte.

Auch heute blicken wir gebannt und immer noch ungläubig auf dieses Damals zurück, auf eine Welt vor dem Dammbruch - die gleichzeitig auch die einer Hochblüte des Tourismus war und der engsten Verflechtungen der Länder untereinander. Ein großer Krieg erschien trotz aller Endzeitbeschwörungen nur als Gänsehaut real, als Flirt mit dem Dunklen und Bösen. In Wirklichkeit aber lagen in diesen ausgelassenen Jahren des Grand Old Europe die ersten großen Fliegerbombardements, Giftgaskrieg, Alpenfront, Seuchen und Dolchstoßlegenden nur mehr fingerspitzenweit entfernt.

Die Welt von gestern, bis heute lässt sie nicht los. Sie ist ebenso Wirklichkeit wie Projektion. Nicht anders das Grand Hotel Royal. Seit gut zehn Jahren ist es, sorgfältig restauriert, am Budapester Elisabeth-Ring als Corinthia Hotel wieder in Betrieb und wirft dieser Tage auch als unumschränkter Hauptdarsteller in Wes Andersons irrwitziger Erinnerungskomödie Grand Budapest Hotel cartoonartige Schlaglichter auf den Mahlstrom der Katastrophen und Albträume unserer Geschichte.

Es ist die ungarische Vorpremiere des Films, zu der das Hotelkonsortium eingeladen hat. Die Stühle in dem Budapester Einkaufszentrumskinocenter sind breit und auf Knopfdruck in alle erdenklichen Lagen verstellbar. In einem davon sitzt Tibor Meskál. In den 1990er-Jahren kehrte er nach Budapest zurück. Heute ist er Senior Duty-Manager - und während im Film der Concierge Gustave H. das Hotel repräsentiert, verkörpert Tibor Meskál in Wirklichkeit ein halbes Jahrhundert des 2003 wieder eröffneten Grand Royal.

Das Licht geht aus, das Hotel taucht auf. Es ist eine ewig klassizistische zartrosa Fassade, die hier in der Fantasielandschaft des Films zwischen spitzen hohen Bergen steht. Doch im Inneren des Hauses landet man sofort in der Innenarchitektur jener bleiernen Zeit, aus der Tibor Meskál 1966 flüchtete.

Attraktion für Filmpioniere

Im Kino raschelt es. Die Geschichte des Triestiner Grenzübergangs wird Meskál später erzählen. Auf der Leinwand erblickt man unterdessen ein Haus, in dem Kino nicht nur in der Zeit der Filmpioniere Attraktion war, sondern dem Haus ab 1914 noch ungeahnte Einnahmen bescherte. Der große Ballsaal wurde zu einem Lichtspieltheater umgebaut, vor dem sich täglich Schlangen bildeten, auch um die neuesten Kriegsereignisse auf der Leinwand flimmern zu sehen.

Es ist dieses Hotel, in dem in den Swinging Twenties zumindest während der Nachtstunden mit Gästen wie Josephine Baker noch unverhoffte Lebenslust zurückkehrte, dieselbe Josephine Baker, die wenige Jahre später in Budapest bereits als "dekadente Negertänzerin" verunglimpft wurde. Bald danach wurde das Haus zu einem Hauptquartier Nazi-Deutschlands, an dessen Seite Ungarn in den Zweiten Weltkrieg gezogen war. 1953 wurde es zum ersten Mal wiedereröffnet, bis es 1956 als einer der wichtigsten Stützpunkte der Aufständischen fungierte. Doch das Fenster eines Wunders öffnete sich nur wenige Tage lang. Dann rollten Panzer durch die Stadt, das Hotel wurde umzingelt und über Stunden hinweg beschossen. Niemand überlebte, das Gebäude brannte völlig aus.

Heute sieht das Hotel wie neu aus - nicht zum ersten Mal. Tibor Meskál dreht sich leise zur Seite, bietet Popcorn an. In Andersons Film lässt ein junger Kellner sein Tablett fallen. Schon sind wir mitten in der Geschichte, es ist ein Spiegelkabinett. (Martin Prinz, DER STANDARD, Album, 12.4.2014)