Sonntagmittag hat Martin Ehrenhauser, Spitzenkandidat von Europa anders, nach einem Monolog über Bankenrettungen eine Livesendung des ORF verlassen. Er wolle ein Zeichen setzen und "aufstehen", erklärte er seine Aktion. Seither harrt der EU-Parlamentarier auf dem Ballhausplatz aus. Mit seinem Protest wolle er eine Volksabstimmung "zur Bankenrettung" erreichen. Wie Ehrenhauser seine erste Nacht vor dem Kanzleramt verbracht hat, wie lange er noch dort bleiben will und welche Forderungen sonst noch auf der Agenda von Europa anders stehen, erklärte er derStandard.at.

derStandard.at: Herr Ehrenhauser, wie haben Sie die erste Nacht am Ballhausplatz verbracht?

Ehrenhauser: Die erste Nacht war sehr, sehr gut. Wir haben alle Utensilien, die wir benötigen, bekommen. Schlafsäcke, Isomatten, ein Feldbett. Jemand hat uns eine Pizza auf den Ballhausplatz liefern lassen. Ich habe von halb eins bis halb sechs wirklich gut durchgeschlafen. Mir geht es gut, ich bin fit, wir können weitermachen.

derStandard.at: Im ORF haben Sie gesagt, Sie gehen zum Ballhausplatz und gehen nicht mehr weg. Wie lange wollen Sie jetzt tatsächlich hier bleiben?

Ehrenhauser: Es ist an der Zeit, dass man die Leute darüber abstimmen lässt, ob sie wirklich einverstanden sind, dass man den Sozialstaat dermaßen kürzt für diese Bankenrettung. Und ob sie wirklich wollen, dass man auf Kosten des Gemeinwohls permanent die Banken rettet. Wie lange ich hier bleiben werde? Wir werden sehen, wohin die Reise geht.

derStandard.at: War es eine lang geplante Aktion, dass Sie die ORF-Diskussionssendung verlassen?

Ehrenhauser: Nein. Das haben wir alle gemeinsam am Vortag beschlossen, weil wir  tierisch sauer waren. Die neuen Bildungseinsparungen, die vor der Haustür stehen, wollen wir nicht länger hinnehmen. Oder blicken wir nach Griechenland. Bisher hatte das Land 120 Prozent des BIPs an Schulden. Nachdem die Sparpolitik der Troika durchgezogen wurde, steht Griechenland bei 176 Prozent. Man sieht, dass diese Bankenrettungspolitik fundamental falsch läuft. Deshalb haben wir gesagt, es wird einfach Zeit, eine gewisse Symbolik zu setzen und aufzustehen.

derStandard.at: Sie hätten in der ORF-Sendung die Chance gehabt, Ihre Inhalte darzulegen. Stattdessen haben Sie die Sendung gleich zu Beginn verlassen.

Ehrenhauser: Ich glaube, dass viele Menschen Politikern auch in diesen herkömmlichen Politik-Talkshow-Formaten nicht wirklich zuhören. Ich glaube, dass die Leute das Vertrauen in die Politik verloren haben. Der Grund ist: Die Politik macht, was sie will. Ich möchte einfach in die Köpfe der Leute reindringen und ihnen sagen, dass das, was hier mit der Bankenrettung passiert, ein riesengroßes Verbrechen ist. Das konnte ich mit Aktionismus viel besser vermitteln.

derStandard.at: Was ist Ihre Alternative zur Abwicklung der Hypo-Bank?

Ehrenhauser: Aus unsere Sicht ist klar: Die Gemeinschaft darf nicht mehr haften müssen, für Banken, die sich wie die Hypo kräftig verzockt haben.

derStandard.at: Am Montagmorgen waren noch vier andere Mitstreiter hier. Wo sind eigentlich all die anderen Leute von Europa anders?

Ehrenhauser: Gestern waren sehr viele hier. Obwohl ich nie darum gebeten habe, haben sich Leute bereiterklärt, eine sehr kalte Nacht vor dem Bundeskanzleramt zu verbringen. Leute kommen, bringen mir Frühstück, der Zuspruch ist schon enorm.

derStandard.at: Könnten Leute davon absehen, Ihren Protest zu unterstützen, einfach weil sie nicht zugleich Wahlkampf für Europa anders betreiben wollen?

Ehrenhauser: Es lässt sich nicht leugnen, dass wir im Wahlkampf sind. Aber: Es ist uns persönlich ein inneres und fundamentales Anliegen, dass endlich etwas anders wird. Ich glaube auch, dass man den Willen nach Veränderung und den Unmut unterstützen kann, ohne dass man uns wählt. Man muss Europa anders nicht wählen. Man kann trotzdem gegen die Bankenrettung sein.

derStandard.at: Mache fragen sich, was die Hypo im EU-Wahlkampf zu suchen hat?

Ehrenhauser: Die Frage verstehe ich nicht. Bankenrettung und Austeritätspolitik sind zentrale Themen in Europa. Die Hypo ist ein österreichisches Symbol davon.

derStandard.at: Können Sie den Wahlkampf effizient gestalten, wenn Sie immer hier auf dem Ballhausplatz sind? Spitzenkandidaten sollten ja durchs Land ziehen.

Ehrenhauser: Die Frage ist: Was ist effizient, und was will man erreichen. Ich weiß nicht, ob ich die Leute von unseren Inhalten nicht besser überzeugen kann, wenn ich einfach hier sitzen bleibe.

Martin Ehrenhauser mit seinen Mitstreitern vor dem Bundeskanzleramt in der Nacht von Sonntag auf Montag. (Foto: Daniel Novotny)

derStandard.at: Bei der EU-Wahl werden für Österreich diesmal nur 18 Mandate vergeben, die Hürde für ein Mandat liegt bei fast fünf Prozent. Europa anders liegt in den Umfragen bei zwei Prozent. Wie sollen Sie den Einzug schaffen?

Ehrenhauser: Wir sind eine sehr bunte Wahlallianz, die aus drei Parteien und den Unabhängigen besteht. KPÖ, Piraten und der Wandel haben bei der Nationalratswahl 90.000 Stimmen erzielt. Um fix einzuziehen, braucht man zirka 150.000 Stimmen.  Mit einem engagierten Wahlkampf werden wir das schaffen.

derStandard.at: Aber der Name "Europa anders" war bis vor kurzem niemandem bekannt. Nach außen hin sind auch nur Sie sichtbar.

Ehrenhauser: Die Zufälligkeit des Lebens entscheidet, wo wir geboren werden, in Simmering oder in Afrika oder in einer wohlhabenden Gegend. Die Aufgabe der Politik ist es, dem etwas entgegenzusetzen, damit sich die Chancen, Ressourcen und Vermögen fair verteilen. Das und der Unmut über die herkömmliche Politik hat uns vereint. Es ist wichtig, dass wir unsere Kräfte bündeln.

derStandard.at: War es klug, das unter einem vollkommen neuen Namen zu tun?

Ehrenhauser: Ja, sonst hätten wir es nicht gemacht. Wir haben gemeinsam viel größere Chancen. Die Elemente des Bündnisses sind mehr als die Summe der Teile.

derStandard.at:  Wie schaut der klassische Europa-anders-Wähler aus?

Ehrenhauser: Das sind jene Leute, die in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten fundamental von der Politik vernachlässigt wurden. Das sind jene, die am Ende des Monats nicht wissen, wie sie die Reparatur für ihre Waschmaschine bezahlen sollen. Und jene, die spüren, dass es ungerechter wird. Jene, die eine Sehnsucht danach haben, dass es besser wird.

derStandard.at: Sehen Sie sich links von der SPÖ?

Ehrenhauser: Ganz klar ja. Wir unterstützen den europaweiten Spitzenkandidaten der europäischen Linken, Alexis Tsipras. Und er unterstützt uns. Wir sind Teil der Europäischen Linken.

derStandard.at: Wenn Sie die linke Alternative sein wollen, wäre es nicht gut, wenn sich für Europa anders punziert Linke an vorderster Front engagieren würden, zum Beispiel Mirko Messner, der Chef der KPÖ?

Ehrenhauser: Mirko Messner ist im Kernteam, er hilft fleißig mit. Genauso Elke Kahr und Ernest Kaltenegger von der Grazer KPÖ.

derStandard.at: Trotzdem. Ernest Kaltenegger könnte die Idee von der Linken vielleicht nachdrücklicher vertreten. Warum ist es nicht gelungen, jemanden wie ihn auf der Europaliste zu führen?

Ehrenhauser: Wir haben versucht, sehr bekannte Leute zur Kandidatur zu überreden. Aber es ist sehr schwer, dass jemand aus seinem Berufsleben aussteigt und vielleicht auch die Chance verspielt, wieder zurückzukehren. Für eine Kandidatur, die nicht zu hundert Prozent sicher ist. Wir werden sicher noch einige bekannte Gesichter präsentieren, die Europa anders unterstützen.

derStandard.at: Europa anders tritt für die Arbeitszeitreduktion ein. Wie viele Stunden sollen wir aus Ihrer Sicht arbeiten?

Ehrenhauser: Zur Finanzierung der Bankenrettung haben wir den Sozialstaat immer weiter abgebaut und Lohndumping und Umweltdumping betrieben. Jetzt gibt es die Debatte, dass die Arbeitszeit verlängert werden soll. Die Menschen werden wie Zitronen ausgepresst. Gewinne werden privatisiert, Verluste werden vergemeinschaftet. Das kann nicht der Anspruch der Politik sein.


Ehrenhauser fordert Volksabstimmung zur Hypohaftung. (Foto: Katrin Burgstaller)

derStandard.at: Um wie viele Stunden würden Sie die Arbeitszeit also verkürzen?

Ehrenhauser: Das muss man sich anschauen. Faktum ist, dass Arbeitszeitverkürzung eine legitime Methode ist, um wieder mehr Arbeitsplätze zu schaffen.

derStandard.at: Netzneutralität ist ebenfalls Thema Ihres Wahlkampfes. Haben Sie das Gefühl, dass dieses Thema bei einer breiten Mehrheit in der Bevölkerung angekommen ist?

Ehrenhauser: Dieses Thema ist noch nicht einmal bei einer breiten Mehrheit in der Politik angekommen. Zugegeben, das Thema ist sehr sperrig. Aber Faktum ist, dass es sich um eine der wichtigsten Fragen der Gegenwart handelt. Das Internet ist die Struktur unserer Gesellschaft, und es ist so viel mehr als Kabelfernsehen oder Festnetztelefonie. Der Mensch wird immer weiter in die digitale Gesellschaft hineingewoben. Es ist entschieden, wie wir mit dieser Struktur umgehen, die fair und egalitär sein soll.

derStandard.at: Der EuGH hat die Vorratsdatenspeicherung gekippt. Ihre Reaktion dazu war relativ verhalten.

Ehrenhauser: Da ist zweifelsohne ein großer Erfolg der Zivilgesellschaft. Aber: Das Urteil richtet sich zwar gegen die Richtlinie, aber nicht im Kern gegen die Vorratsdatenspeicherung. Ich warte ab, auch im Wissen, was mit Edward Snowden alles ans Tageslicht gekommen ist. Die Vorratsdatenspeicherung ist nur ein großes Übel von vielen.

derStandard.at: Außerdem wollen Sie den Standortwettbewerb innerhalb Europas unterbinden.

Ehrenhauser: Die Europäische Union betreibt eine Wirtschafts- und Wettbewerbspolitik, die zu Sozial-, Lohn- und Steuerdumping in ganz Europa führt. Wir erleben eine wahnwitzige Standortkonkurrenz, Unternehmen erpressen Europas Regierungen. Nach dem Motto: Wenn ihr uns die Steuern nicht erlässt, dann gehen wir woanders hin. Die Leute haben die Nase gestrichen voll von dieser Wettbewerbspolitik.

derStandard.at: Wie wollen Sie verhindern, dass Unternehmen in andere Kontinente abwandern?

Ehrenhauser: Wir brauchen eine Harmonisierung der Steuer- und Lohnpolitik auf europäischer Ebene. Wir müssen Kooperation belohnen und nicht weiter den Wettbewerb födern. Der europäische Wirtschaftsraum ist ein dermaßen wichtiger Raum. Wer hier seine Produkte verkaufen möchte, der soll sich auch an gemeinwohlorientierte Standards halten.


Montag, halb zehn vor dem Bundeskanzleramt. Ehrenhauser deckt einen Langschläfer aus seiner Protestrunde zu. (Foto: Katrin Burgstaller)

derStandard.at: Man muss ja nicht zwangsweise in Europa produzieren. Wie wollen Sie von profitorientierten Unternehmen Gemeinnützigkeit einfordern?

Ehrenhauser: BIP und Finanzbilanzen sind keine geeigneten Kennzahlen, um unseren Wohlstand zu messen. Auch Krieg und Umweltzerstörung wirken sich "positiv" darauf aus. Wir brauchen gemeinwohlorientierte Kennzahlen zur Neuorintierung und steurliche Anreize, die das fördern. Außerdem sind wir als Konsumenten gefragt. Wir müssen Dinge nicht kaufen, von denen wir genau wissen, dass sie ethischen Standards nicht entsprechen. Das gilt beim Essen, bei der Kleidung, aber auch in anderen Zusammenhängen. Es ist nicht notwendig, dass wir das zehnte T-Shirt aus einer Produktion mit Kinderarbeit kaufen.

derStandard.at: Ihr Programm setzt auf ein breites zivilgesellschaftliches Engagement und auf ausgeprägtes Konsumentenbewusstsein. Realistisch betrachtet hält sich das aber doch in Grenzen.

Ehrenhauser: Da muss ich die Zivilgesellschaft verteidigen. Was die Zivilgesellschaft in den letzten Jahren geleistet hat, ist schon gut. Siehe zum Beispiel ACTA (Anti-Produktpiraterie-Handelsabkommen) oder die Vorratsdatenspeicherung. Die Zivilgesellschaft ist dann richtig gut, wenn sie an einem Strang zieht, und zwar europaweit. Das gelingt ein- oder zweimal im Jahr, aber nicht jede Woche. Außerdem stehen die professionellen Lobbyisten in Brüssel gegenüber.

derStandard.at: Gegen ACTA und  Vorratsdatenspeicherung haben sich sehr spezielle Gruppe formiert, nicht aber die breite Bevölkerung.

Ehrenhauser: Aber sie geben jenen, die sich in der Zivilgesellschaft vielleicht noch nicht engagieren, Hoffnung, und sie zeigen, dass man Dinge verändern kann, wenn man sich einsetzt. Wir treten daher auch für einen Bürgerkonvent ein, in dem die Leute die Politik Europas selbst gestalten. Dann macht Europa auch wieder Spaß.

derStandard.at: Jetzt räumen Sie ein, dass es doch Leute gibt, die sich eben nicht in der Zivilgesellschaft engagieren können, so wie das Ihr Programm vorsieht.

Ehrenhauser: Als gelernter Koch weiß ich, was es heißt, wenn man zwölf oder 14 Stunden in der Küche steht und hackelt. Dann kommt man nach Hause, hat vielleicht Frau und Kind. Jetzt von all diesen Menschen zu verlangen, dass sie sich politisch engagieren, ist ein Ding der Unmöglichkeit. Es ist eben Aufgabe der repräsentativen Demokratie, dass Menschen gewählt werden, die deren Interessen vertreten. Insofern habe ich dafür Verständnis. Aber es wäre schön, wenn die Politik die Voraussetzungen schafft, damit sich jeder für Politik interessiert und Zeit hat, sich damit zu beschäftigen. (Katrin Burgstaller, derStandard.at, 14.4.2014)