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Wer war dieser Mann? William Shakespeare (1564-1616) auf einem Porträt (Maler unbekannt).

Foto: APA/EPA/DANIEL REINHARDT

Avon: William Shakespeares Heimatstadt Stratford liegt in der englischen Grafschaft Warwickshire, am Fluss Avon. An dessen Ufern führen bis heute Schwäne ein ruhiges Leben. Die Fachwerkhäuser stehen in Stratford-upon-Avon wie Schafe aneinandergedrängt. Es bleibt unerklärlich, warum in den 90er-Jahren des 16. Jahrhunderts ausgerechnet aus dem Sohn eines kleinen Handschuhmachers, der in Stratford lebte, schlagartig der größte Dichter aller Zeiten wurde.

Elisabeth: Die resolute Tochter Heinrichs VIII. blieb ihr ganzes Leben lang Jungfrau. Unter ihrer Herrschaft explodierte die Zahl der Geburten, die Religionsstreitigkeiten ruhten. England besiegte 1588 die spanische Armada und drängte mit Nachdruck in die Reihe der Großmächte. Vor allem aber besaß die hochgebildete Regentin ein feines Gespür für die Möglichkeiten der Bühnenkünste. Durch ihre tätige Mithilfe wurden die größten Theatertruppen in London sesshaft, unter ihnen "The Chamberlain' s Men", denen William Shakespeare angehörte.

Folio: Die erste Ausgabe von Mr. William Shakespeare's Comedies, Histories and Tragedies erschien 1623 in einer Auflage von 750 Stück. Dadurch waren Shakespeares Werke erstmals in einer "autorisierten" Form erhältlich. Vorherige "Quarto"-Ausgaben basierten höchstwahrscheinlich auf den wenig verlässlichen Erinnerungen von Schauspielern, die ihre Rollentexte niederschrieben.

Geheimdienst: Elisabeths Fürsorge galt nicht allein der Kunstfertigkeit ihrer Theaterschaffenden. Ihr muss früh die propagandistische Nützlichkeit von "historischen Tragödien" und anderen vaterländischen Erzeugnissen bewusst gewesen sein. Chef ihres Geheimdienstes war ein gewisser Lord Walsingham. Am Wohlverhalten ihrer Höflinge nahm die Queen großen Anteil. Ein zeitgenössischer Spötter bemerkte, dass dem Earl of Oxford vor der Königin ein Furz entfahren sei.

Daraufhin sei er sieben Jahre auf Reisen gewesen, ehe Elisabeth ihm das Malheur bereitwillig verziehen habe. Auf seiner Bildungsreise u. a. nach Italien könnte Edward de Vere jene Kenntnisse aufgeschnappt haben, die ihn zur Abfassung von Stücken wie Romeo und Julia befähigten. Immer vorausgesetzt, es war wirklich de Vere, der unter dem Namen "Shake-Speare" Stücke schrieb. Die de Veres hatten bei Hofe das erbliche Amt des Großkämmerers ("Lord Great Chamberlain") inne.

Globe: Das unter freiem Himmel spielende Theater bot 3000 Zuschauern Platz. Eine erkleckliche Zahl, wenn man bedenkt, dass London gegen Ende des 16. Jahrhunderts 200.000 Einwohner zählte. Die Schauspieltruppen mussten hart um die Aufmerksamkeit ihrer zahlenden Gäste (ein Penny pro Stehplatz) kämpfen. Die Puritaner polemisierten heftig gegen die Kunst der Dramenschreiber. Die Theater selbst waren genossenschaftlich organisiert; auch Shakespeare muss sich in seine Truppe eingekauft haben.

Kollegen: Die Blütezeit des elisabethanischen Theaters fällt zusammen mit dem Erstarken des Bürgertums. Dessen Reihen entsprossen zahlreiche Theaterautoren, die sich wie Shakespeare-Freund Ben Johnson trefflich auf die Abfassung von Satiren verstanden. Autoren wie Johnson führten, dank obwaltender Zensur, meistens ein unstetes, gefährliches Leben. Christopher Marlowe stand auf der Lohnliste des königlichen Geheimdienstes, als er ein ebenso gewaltsames wie mysteriöses Ende fand. Viele damalige Dramatiker waren die Söhne von Kesselflickern, Pöklern, Färbern oder Sattelmachern. Umso erstaunlicher Shakespeares Vorliebe für die Denkart rechtmäßig gesalbter Könige. Im blühenden Wortschatz dieses ungewöhnlich begabten Rhetorikers finden sich auffällig viele Hinweise auf aristokratische Hobbys wie die Falknerei. Auch kann er eine gewisse Geringschätzung des sogenannten "Pöbels" schwerlich leugnen.

Narren: In den Stücken des Theaterunternehmers und Kaufmanns Shakespeare ("Shakesper") finden häufig genug Narren und Rüpel Unterschlupf. Von der Gesellschaft ausgesondert, reißen sie Tugendheuchlern wie dem Puritaner Malvolio (Was ihr wollt) die Maske herunter. Jemand wie der Prinzenerzieher Falstaff ist als Mittler zwischen den Sphären des Adels und des einfachen Volkes von zentraler Bedeutung. Schon einige Jahre nach Shakespeares Tod wird die Warnung des königstreuen Stratfordianers vor Umsturz und Chaos ungehört bleiben. Nach 1642 setzt das Parlament den König ab. Er wird daraufhin von Cromwells Volksarmee gejagt und schließlich hingerichtet.

Tau: Mitunter setzte Shakespeare den Römern Pelzkappen auf (Julius Cäsar) und pflegte auch sonst einen recht freien Umgang mit historischen Fakten. Im Sturm, Shakespeares rätselhaftem Alterswerk, das auf einer entlegenen Insel spielt, spricht Ariel folgende Verse: "Still liegt im Hafen / Des Königs Schiff in tiefer Bucht, allwo / Du einst um Mitternacht mich aufriefst, Tau / Zu holen von den stürmischen Bermudas" . Schweift der Dichter hier in die Ferne? Die Antwort ist womöglich trivialer. Unter dem Namen "Bermoothes" verstand man in alten Tagen einen Londoner Bezirk, ein verrufenes Gassengewirr in der Gegend von Covent Garden. Prospero, der alte Zauberer, dürfte dementsprechend nicht auf den Atlantik hinausgeblickt haben. Er sandte Ariel einfach um Mitternacht nach London, Whisky zu holen.

Tod: Shakespeare starb 1616 auf seinem Alterssitz in Stratford. Er ließ nicht nur ein ehrfurchtgebietendes Werk von 38 Dramen, etlichen Versepen und unsterblichen Sonetten zurück. Sein spärlich dokumentiertes Leben beflügelt bis heute die Fantasie. Geblieben sind krakelige Unterschriften von seiner Hand. Der Rest ist Schweigen. (Ronald Pohl, DER STANDARD, 19.4.2014)