Foto: Lukas Friesenbichler

Reto Burgiswiler (links) stammte aus Urnäsch im Schweizer Kanton Appenzell-Ausserrhoden und war definitiv zu gutaussehend, um seine Schönheit ausschließlich in diesem gebirgigen Fleckchen Erde zur Geltung zu bringen. Die One-Morning-Stands, die er als Waschmaschinentechniker mit diversen sexuell aufgeschlossenen Hausfrauen des Kantons absolvierte, langweilten ihn schnell. Er fühlte sich zu Größerem berufen und zog erst mal nach Zürich.

Hier ergab auf magische Weise eins das andere: Er wurde von einem Engländer, einem Kreativmenschen von Bally, im Café Odeon angesprochen. Reto erzählte diesem, dass er Arbeit suchte, und der Mann schlug Reto vor, doch tagsüber auf seinen Weimaraner aufzupassen – für einen horrenden Geldbetrag.

Werbemotiv von Steven Klein
Foto: Lukas Friesenbichler

Einige Monate später nahm ihn James – er hatte sich gerade von seinem japanischen Freund getrennt – als Begleitung mit zu Elton Johns Geburtstagsparty in dessen Wohnung in Venedig. Dort sprach ihn – neben einer unüberschaubaren Menge Homosexueller – auch eine nette Italienerin an: Alessandra Rospigliosi, Bookerin einer großen Agentur in Mailand. Ob er sich eventuell vorstellen könnte zu modeln? Certo, mia cara. Und wie er das konnte.

Alessandra vermittelte ihm ein tolles Shooting mit Bruce Weber, er lief für Versace undundund. Aber der Auftrag, mit dem sie vor einer Woche ankam, entlockte Reto erst einmal nur ein verblüfftes „Hä“? Ein gewisser Herr Lee, südkoreanischer Milliardär und Großkunde der Agentur, unterhielt auf Sizilien ein eigenes kleines Dorf, auf dem er sizilianisches Leben nachstellen ließ – allerdings ausschließlich von Männern. In Miramondo, dieser Ga(y)ted Community, wurde alles, was passierte, mit Videokameras aufgezeichnet und auf einem TV-Kanal übertragen. Mr. Lee konnte sich so an dem bunten Treiben ergötzen, wo immer er gerade seinen Geschäften nachging.

Der General Manager von Miramondo, Luca Altemps D’Este, organisierte einmal pro Woche einen speziellen Themenabend, und nächstes Wochenende hatte er als Motto „Römische Nächte“ gewählt. Altemps D‘Este hatte dafür bei Alessandra einige gut gebaute Models mit Ringererfahrung geordert. Reto hatte in seinen Jugendjahren ein paar Mal am Appenzeller Schwingerfest teilgenommen, das sollte reichen.

Reto war etwas mulmig zumute, aber 4000 Euro für ein Wochenende, das war gutes Geld. Trotzdem: Irgendwie wurde ihm dieser ganze Modezirkus in der letzten Zeit einfach zuviel. Es war alles so bizarr. Vielleicht war es doch an der Zeit, damit Schluss zu machen und in Urnäsch wieder etwas ganz Normales anzufangen. Und auf dem Säntis war er auch schon viel zu lange nicht mehr gewesen. (Stefan Ender, derStandard.at, 27.4.2014)