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938 Kreuze zum Gedenken an die kroatischen Opfer in Vukovar.

Foto: ANTONIO BRONIC / Reuters

Kriminalisten nennen es Auffindesituation. Davon machen sie dann Fotos, die zu schrecklich sind, um in Zeitungen veröffentlicht zu werden. Das zwölfjährige Mädchen, das zusammen mit seiner Mutter auf einer Mülldeponie aufgefunden wird, liegt mit dem Gesicht im Abfall, die langen dunklen Haare sind von Blut verklebt, ihre verkrampften Hände hinter dem Rücken gefesselt. Die Strumpfhose ist unordentlich und nur halb hochgezogen. Was den Kriminalisten verrät, dass Aleksandra Zec nach einer mehrfachen Vergewaltigung, wohl aus Hast oder als letzte Geste der totalen Entwürdigung, mit entblößten Genitalien ermordet wird.

Ein Orden fürs Morden

Diese obszöne Tat ereignet sich im Dezember 1991 in Zagreb. Und die Fotos der Auffindesituation werden 20 Jahre später, im Sommer 2011, von der kroatischen Tageszeitung "Jutarnji List" doch veröffentlicht. Aus Protest, weil damals, wie noch heute, kein einziger der fünf Täter, darunter eine Frau, wegen der Vergewaltigung und des Mordes an Aleksandra Zec und des Mordes an ihren Eltern verurteilt worden ist. Einige der Mörder bekommen stattdessen gutbezahlte Jobs und Auszeichnungen, ihr Kommandeur wird wohlhabend und politisch einflussreich. Was Marquis de Sades Juliette als Vollendung und Krönung der Obszönität empfinden mag.

Ganz wie Juliette, die im Schutz mächtiger Perverslinge ihre mörderische Lust an wehrlosen und gänzlich unschuldigen Opfern ungestraft ausleben darf und davon auch profitiert, gedeihen die Angehörigen einer Reserveeinheit der kroatischen Polizei unter dem Kommando von Tomislav Merčep, indem sie eine Blutspur in Gospić und Vukovar hinterlassen, ein Foltercamp bei Pakrac* in Slawonien betreiben, Menschen nach Belieben verhaften, Lösegeld erpressen oder sie einfach ausplündern und ermorden. Für einige dieser Verbrechen werden die Mörder der Familie Zec viel später verurteilt, aber niemals für die Auslöschung der Familie.

In der Zwischenzeit wird einer von ihnen Leibwächter eines kroatischen Ministers, ein anderer bekommt einen hohen Orden, und die übrigen können mehr als ein Jahrzehnt lang unbehelligt ihren Karrieren nachgehen. Und wer ihre Namen im Zusammenhang mit der Familie Zec nennt, läuft Gefahr, verklagt zu werden.

Unsere brauchbaren Jungs

Stjepan Mesić, einst Weggefährte, dann Opponent, dann Nachfolger des Staatsgründers Franjo Tuđman, sagt öffentlich, Tuđman sei nicht nur informiert gewesen, sondern habe die Mörder beschützt. Zitat: "Ich könnte die Jungs noch brauchen." Ein anderer Beschützer, so sagt Mesić, ist Vladimir Šeks, damals Staatsanwalt, später die ewige Nummer zwei in jeder HDZ-Regierung. Er lässt einen prozeduralen Fehler "geschehen", der anschließend genutzt wird, um Merčeps Jungs freizusprechen. Ihre Geständnisse, auch die detaillierte Beschreibung der langwierigen Vergewaltigung der Aleksandra Zec und ihrer hastigen Ermordung, geben die Täter in Abwesenheit eines Rechtsanwaltes ab. Deswegen verfügt das Gericht ihre Ungültigkeit und spricht die Angeklagten aus Mangel an Beweisen frei.**

Doch nun, 22 Jahre nach Entstehen der Fotos der Auffindesituation von Aleksandra und ihrer Mutter, steht Tomislav Merčep unter Einräumung der Unschuldsvermutung vor Gericht. Auch wegen des Verbrechens an der Familie Zec. 22 Jahre zuvor genießt Merčep das Vertrauen des Innenministers, den Rückenwind des alles rechtfertigenden Patriotismus in Zeiten des Krieges und seinen allseits bekannten Spitznamen: "Napoleon von Vukovar". Diesen verdient er sich redlich, als er in der multinationalen Stadt an der Donau die nichtkroatische Bevölkerung von seinen Jungs terrorisieren lässt. Natürlich verlassen Merčep und die brauchbaren Jungs Vukovar noch rechtzeitig, bevor es von anderen Nichtkroaten umzingelt und mit Bomben dem Erdboden gleichgemacht wird.

Herbstregen

"Herbstregen" - mit diesem poetischen Namen benennen sie sich selbst, aber dort, wo sie "kämpfen", nennt man sie nach ihrem Anführer "Merčepovci". Doch sie sind immer nur eine Todesschwadron in Uniformen der jungen Republik Kroatien. Ihre Legende als härteste Kampfeinheit spinnen sie selbst, ihr tatsächlicher militärischer Wert hingegen wird später als nicht vorhanden bewertet. Und die Realität ihres angeblichen Kampfes für die Heimat beschreibt der stellvertretende "Herbstregen"-Kommandeur, Miro Bajramović, schon 1997 in einem langen Interview für die Wochenzeitung "Feral Tribune", das genauso gut ein Monolog der Juliette über die Freuden eines Folterkellers sein könnte.

Es beginnt mit den Worten: "Ich habe von eigener Hand zweiundsiebzig Menschen umgebracht, darunter waren auch neun Frauen." Was Bajramović anschließend dem Journalisten des "Feral Tribune",  Ivica Djikić, erzählt, erschüttert die Nation und beendet das Dogma von den immer sauberen "eigenen Jungs". Der siebente Höllenkreis liegt im Keller einer Volksschule nahe Pakrac, die Folterorgien finden nach Sonnenuntergang statt: "Am schlimmsten waren für sie (die Gefangenen, Anm.) die Nächte, wenn wir sie 'operativ bearbeitet' haben." Es folgen detaillierte Beschreibungen bestialischer Qälereien, durchgeführt mit selbstgebastelten Folterwerkzeugen, Gasflaschen, Stromkabeln und elektrischen Geräten. Im selben Interview räumt Bajramović auch mit dem bis dahin gültigen Axiom auf, dass ethnische Säuberungen ausschließlich vom Feind betrieben werden: "Für Gospić galt der Befehl 'ethnisch säubern'. Wir haben den Direktor der Post, des Krankenhauses, Restaurantbesitzer und irgendwelche anderen Serben umgebracht."

Am Ende des Interviews offenbart Miro Bajramović noch seinen ganz persönlichen Abgrund. Vielen seiner Opfer stellt er nach der "operativen Bearbeitung" einen Passierschein aus und entlässt sie aus dem Schulkeller. Dann legt er sich auf die Lauer und erschießt den Entlassenen auf dem Weg nach Hause aus dem Hinterhalt mit einem Scharfschützengewehr: "Dann stirbt der Serbe glücklich ..."***

Und Juliette zieht in anerkennender Hochachtung eine Augenbraue hoch.

Bei den Rittern

Auf einem Plakat aus dem Krieg lächelt Tomislav Merčep, in Uniform und mit Barett, gütig in Richtung freie Zukunft. Da steht auch sein Name und das Wort "vitez". Es bedeutet "Ritter" und soll Ehre, Anstand und eine mächtige Ladung Tugend vorgaukeln. Aber es ist wieder nur Juliette, die schelmisch eine tugendhafte Menschenfreundin gibt, während sie in Kellern und tiefen Erdlöchern lustmaximierend ganze Familien foltert, vergewaltigt und ermordet. Und mörderische Intrigen konstruiert. Wie jene, der Marina Nuić zum Opfer fällt.

Diese junge, geschiedene Hausfrau und Mutter eines Sohnes kommt freiwillig aus Rijeka zu den Merčepovci. Sie will ihre Heimat verteidigen und ist von den Heldengeschichten der Ritter in Pakrac begeistert. Ihre Uniform der kroatischen Polizei und eine Pistole trägt sie mit Stolz. Doch einer der späteren Vergewaltiger und Mörder der kleinen Aleksandra Zec will mehr als nur Marinas Mitkämpfer sein. Als sie seine Anträge zurückweist, denunziert sie Merčeps Ritter als von Serben gedungene Attentäterin, eingeschleust, um den Oberritter zu töten.

Anschließend verhaftet der liebeskranke Krieger Marina Nuić und verhört sie persönlich im "Herbstregen"-Folterkeller. Dort holt er sich tagelang von Marina mit Gewalt, was sie ihm freiwillig nicht geben will. Laut Bajramović insgesamt neunzehnmal. Danach verliert sich die Spur von Marina Nuić für immer. Eine Auffindesituation und Fotos davon gibt es bis heute nicht.

Nur Theater

Was nach "Herbstregen" von ihren Rittern und ihrer Legende bleibt, sind hunderte zerstörte Leben, einige Verurteilungen zu mehrjährigen Haftstrafen wegen "Tötung eines unbekannten Serben bei Pakrac aus Gewinnsucht" oder "Tötung eines Mitkämpfers aus Verdacht auf Spionage".

Es bleiben auch der Bruder und die Schwester von Aleksandra Zec, die nach zähem Ringen eine Entschädigungszahlung der Republik Kroatien bekommen, weil die Mörder ihrer Schwester und ihrer Eltern zum Tatzeitpunkt Uniformen der Republik Kroatien tragen. Und es bleibt der Sohn von Marina Nuić, der nichts bekommt, obwohl auch seine Mutter die Uniform der Republik trägt. Nicht einmal ihre Knochen. Und schon gar nicht Gerechtigkeit in Form eines rechtskräftigen Urteils.

Ach! Da sind noch ein Roman, eine Doku und ein Theaterstück, die ebenfalls bleiben. Das Theaterstück wird seit kurzem im istrischen Rijeka gezeigt. Nach der Premiere stehen einige Demonstranten vor dem Theater und fordern die Aufklärung der Verbrechen der "brauchbaren Jungs" der Gegenseite. Theater halt ... (Bogumil Balkansky, daStandard.at, 28.4.2014)