Der Regenlauf durch den hinteren Teil des Wiener Praters war eigentlich gar nicht so schlimm. Nicht zuletzt, weil ich mir eingeredet hatte, mir damit einen Superduper-Traumsonnenaufgangsstrandlauf in der Türkei erkaufen zu können. Bloß kommt es halt immer erstens anders, und zweitens, als man denkt. Schließlich liegt die Türkei ja jetzt am Ballermann. 

Ja eh: Es gibt kein schlechtes Wetter. Oder zumindest fast keines. Schon gar nicht in Regionen mit U-Bahnanschluss. Aber trotzdem stellten sich Samstagvormittag dann sogar meine geeichtesten Schlechtwettermitlaufkandidaten und -innen tot: "Akute Softies" lautete die kollektive Selbstdiagnose. Und so ganz unverständlich war das nicht: Es war so richtig "wäh" - nur wusste ich halt nicht, ob ich die nächsten Tage überhaupt zum Laufen kommen würde. Also: raus.

Foto: Thomas Rottenberg

Natürlich war es so wie immer: Die ersten drei Minuten eher kalt & zach - dann fein. Und zuletzt traumhaft. Nicht nur weil bei diesem Wetter kaum Leute unterwegs sind, sondern weil da die Nässe und der Frühling auch altbekannten Stellen und Orten eine ganz eigene Atmosphäre verleiht: Die Farben sind satter. Die Luft fühlt sich geradezu weich an - je weiter weg von den Betonpfaden, umso schöner.

Foto: Thomas Rottenberg

Ich hatte mich für die Lusthauswasser-Runde entschieden. Über die Kanalwächter-Schrebergartensiedlung in der Soft-Trail-Variante:  Von der U3 Station Erdberg führt die Runde über die Fuß- und Radbrücke über den Donaukanal in den Prater. Aber statt die breite Allee zum Lusthaus zu nehmen, biegt man gleich nach den Schrebergärten rechts auf den Waldweg ab.

Der Pfad schlängelt sich bis zur Bahnbrücke, dort geht es am nächsten Schrebergartendorf vorbei und dann links über die Wiese zu "Gelsenbar" und Golfplatz. Dort wieder in den Wald - und gemütlich das Lusthauswasser entlang - ohne einen einzigen Menschen zu sehen.

Foto: Thomas Rottenberg

Freilich: So schlecht - phasenweise goss es in Strömen - kann das Wetter gar nicht sein, dass man im Prater nicht auch in den hintersten Ecken plötzlich auf Menschen trifft, die einen dann mindestens genauso verwundert ansehen, wie ich sie.

Diese Gruppe verriet das hysterische Gekläff der beiden Schoßhunde frühzeitigst: Die Familie wollte die Köter zum stylishen Sitzen auf nassen Baumstämmen inszenieren - was aber nicht nur wegen meines Auftauchens nicht so ganz funktionierte. Was die Familie aber tatsächlich irritierte: "Wieso fragst du, ob du die Fotos onlinestellen darfst? Muss man das? Ist doch fürs Internet!"

Foto: Thomas Rottenberg

Der "reguläre" Weg vom hinteren Zipfel des Lusthauswassers und der daran anschließenden (beinahe) eigenständigen Zweitlacke führt normalerweise auf dem Wirtschaftsweg an einem Reitstall vorbei zur Kapelle von Maria Grün.

Man kann aber auch ein bisserl "Trail" spielen - und sich auf dem Trampelpfad, der ziemlich knapp an der Wasserlinie entlang führt, zurück in die Zivilisation arbeiten.

Foto: Thomas Rottenberg

Der Vorteil dieser Route: Man sieht mehr. Manchmal Reiher. Oft Wassergetier. Wenn man statt zu laufen ganz ganz still sitzt, kann man sich mit viel Glück und Phantasie manchmal auch einreden, gerade einen Bieber gesehen zu haben. Der Nachteil: Man kommt kaum in einen zügigen Laufrhythmus - nicht nur wegen der engen Wenden und Kurven, sondern auch weil alle paar Meter ein Baumstamm quer liegt, der Weg zugewachsen ist, oder Äste in Schulter- und Kopfhöhe hängen.

An diesem Tag kamen noch zwei Faktoren dazu: Baumstämme und Boden waren rutschig - und der Regen ließ Blätter und Äste bis auf Hüfthöhe herunter hängen. Aber das war ebenso egal, wie das Völligdurchnässtsein nach den ersten 300 Metern.

Foto: Thomas Rottenberg

Der Regen hatte mittlerweile aufgehört - aber trotzdem dampfte der Auwald noch vor Nässe. Doch langsam kamen jetzt wieder andere Menschen ins Freie.  

Foto: Thomas Rottenberg

Vermutlich ist das, was ich hier dann tat, absolut illegal. Schließlich darf man ja aus gutem Grund auch nicht auf den Gleisen der "echten" Eisenbahn spazieren gehen. Aber bei diesem Wetter steht die Liliputbahn in der Regel.

Und wenn ich eh schon keinen Rhythmus zusammenbringen würde, könnte ich ja einmal versuchen statt "Trail-" ein bisserl "Railrunning" zu spielen. Abgehakt. Es kann nicht wirklich was.

Foto: Thomas Rottenberg

Solange man läuft, ist Nässe kein Thema. Drum hatte ich - sobald mir warm war - meine Jacke ausgezogen: In der U-Bahn nach Hause habe ich mich schon öfter als einmal verkühlt.

Und bis nach Hause laufen war nicht wirklich eine Option: meine Schuhe wogen mittlerweile fast doppelt so viel, wie beim Loslaufen. Außerdem gibt es auf dem Weg durch die Stadt nirgendwo so schöne Spiegelbildfotostellen, wie in der Gegend der U2-Station Krieau.

Foto: Thomas Rottenberg

Ich hatte mir das nämlich so vorgestellt: Wenn ich in Wien brav bei Sauwetter liefe, würde ich in der Türkei dann ein paar richtige Traum-Sonennaufgangs-Strandläufe hinlegen können. Dorthin - genauer: in den Magic Life Club Jacaranda bei Side - hatte mich die Tui-Gruppe eingeladen.

Gemeinsam mit einem Rudel österreichischer und deutscher Journalisten sollten wir uns den brandneuen All-Inc-Club ansehen. Der Club spielt alle Stückerln, die man sich wünschen kann. Wenn man sich das wünscht. Und als besonderes Gimmick gab es zu diesem Termin ...

Aber dazu später. Das Wetter am ersten Morgen war jedenfalls bescheiden. Höflich formuliert: Regen, starker Wind - und für türkische Verhältnisse arschkalt. Egal.

Foto: Thomas Rottenberg

Ferienclubs sind etwas sehr sehr Seltsames. In jeder Hinsicht. Ich bin jedenfalls nicht Zielgruppe und werde es wohl in diesem Leben nicht mehr. Darum werde ich mich wohl nie sehnlich in riesengroße und luxuriös ausgestattete Hoteldörfer an Mittelmeerstränden shutteln lassen, um dort dann so untergebracht und verköstigt zu werden, wie ich es mir daheim nicht gönnen will - und dann in der ganzen All-Inc-Woche kein einziges Mal tatsächlich ans, geschweige denn ins Meer zu gehen.

Aber um mich geht es nicht: Ich verstehe mittlerweile, dass es etwa für Eltern mit Kleinkindern fein sein kann, den Zwerg einfach einmal abzugeben, um nur auf einer Liege abzuhängen. Oder was auch immer (nicht) zu tun.

Foto: Thomas Rottenberg

Doch während die Damen nicht gegen den Regen und den Wind, der uns den Sand peelingkompatibel entgegenblies, durch den weichen Sand laufen wollten, gaben Flo und ich uns das volle Programm.

Das Feeling war zwar eher dänisch oder ostfriesisch als das, was wir an der türkischen Riviera erwartet hätten, aber: wurscht. Es war mehr als nur fein.

Foto: Thomas Rottenberg

Strandlieger - speziell solche, die nie aus den geschützten Hotelbereichen mit ihren militärisch präzise aufgestellten Liegenbatterien herauskommen - glauben oft, dass Strandlaufen eintönig ist. Weil man ja ohnehin nur von einer Hotelliegeanlage zur nächsten und von einem Jetskiverleih zum nächsten Parasailing-Anbieter komme.

Das ist falsch. Sogar an der wahrlich intensiv erschlossenen türkischen Riviera enden die systemtouristischen Liegenburgen meist nach ein paar hundert Metern. Und dann ist da entweder nichts (außer Strand und Landschaft) - oder seltsame "Cafés" neben abgeranzten Wohnwägen, bei denen nie so sicher ist, ob die Gastro-Einladung tatsächlich ernst gemeint ist: Chucky die Mörderpupe war eindeutig als Dekoobjekt auf den Tisch gelegt worden. Am Nebentisch stand ein Gartenzwerg. Mit abgeschlagener Zipfelmütze.

Foto: Thomas Rottenberg

Doch bei aller Häme über die Touristen, die die gesicherten, bewachten und aseptisch reingehaltenen Clubbereiche nie verlassen: Es gibt Augenblicke, da verstehe ich sehr rasch, dass das auch Vorteile haben kann. Etwa wenn zuerst ein nicht ganz hüfthoch reichender und dann ein ganzes Rudel ausgewilderter Hunde hinter den Dünen auftaucht.

Ich bin bestimmt keiner, der sich rasch vor Kötern anpfeift. Und obwohl ich kein Experte bin, habe ich vermutlich einen Hauch Ahnung von Hunden und ihrer Körpersprache. Darum gab es, schon als der Erste um die Kurve kam, keinen Zweifel: Der wollte nicht "nur spielen".

Foto: Thomas Rottenberg

Und auch seine Kollegen nicht: Der Auftritt war eine erste und letzte Warnung, keinen Schritt mehr in Richtung ihres Territoriums zu setzen. Kalmierungssignale nutzten genau gar nix. Also Umdrehen, langsam zurückgehen, die Köter nicht aus den Augen lassen, ihnen trotzdem nicht direkt in die Augen schauen - und ein paar faustgroße Steine aufsammeln.

Auch wenn die vermutlich eh nix genutzt hätten: Hinter uns waren drei Hunde. Und seitlich in den Dünen trabten noch mindestens zwei weitere Hunde. Und auch wenn sie nach ein paar hundert Metern zurück fielen, verzichteten wir darauf, ein zweites Mal in ihr Revier einzudringen.

Foto: Thomas Rottenberg

Der Regen hatte sich gelegt, die Wasserflecken auf der Gopro-Linse waren die einzige Erinnerung an ihn. Und langsam begann der immer noch heftige Wind die Wolken ein wenig auseinanderzuschieben.

Foto: Thomas Rottenberg

Die Bettenburgen sieht man vom Strand aus nicht. Die Burgen, die Kinder hier am Tag davor errichtet hatten, schon. Im Zweifelsfall ist das allemal die schönere und der Gegend angepasstere Architektur.

Und als braver Läufer achtet man natürlich darauf, ihnen auszuweichen: Ich weiß ja selbst noch, wie sehr ich mich als Kind freute, wenn meine Burg eine Nacht am Strand zufällig halbwegs unbeschadet das morgendliche Planieren, die Strandläufer und die größeren Kinder überstanden hatte.

Foto: Thomas Rottenberg

Wie anstrengend Sandlaufen ist, merkten wir erst im Nachhinein. Und zwar, als wir den komfortabel geklinkerten Weg vom Strand zurück ins Magic-Life-Luxusresort wieder erreichten. "Ist das die Prater-Hauptallee als Nachbau?", ätzte FM4-Moderator Heinz Reich, als er dieses Bild auf Facebook sah.

Was Reich da noch nicht wusste: Ich war ja nicht zum Laufen ins Jacaranda-Resort gekommen. Und auch der neue Club des All-Inc-Konzerns war nicht der eigentliche Grund gewesen, in die Türkei zu fliegen - sondern der Stargast, den man hier angekarrt hatte: Mickie Krause.

Foto: Thomas Rottenberg

Und falls Ihnen der Name nichts sagt, spricht das im Grunde für Sie - obwohl Sie Krauses Texte vermutlich auf tausendundeiner Skihütte schon gehört haben. Er ist der Mann hinter Liedern wie "Zehn nackte Frisösen - mit richtig feuchten Haaren", "Sie hatte nur noch Schuhe an" und "Hol mir noch ein Bier - du wirst schon wieder hässlich".

Foto: Thomas Rottenberg

Und falls ihnen diese Textzeilen nichts sagen, können sie sich glücklich schätzen. Noch: Denn in Deutschland ist der Mann, gegen den Jürgen Drews wie ein intellektueller Diskursfanatiker wirkt, ein Superstar - bei dessen Gigs Eltern auch ihre fünfjährigen Kinder Zoten mithören lassen, die dermaßen derb sind, dass ... aber egal. Das gehört hier nicht her.

Foto: Thomas Rottenberg

Krause war eingeflogen worden, um das vornehmlich deutsche Publikum zu unterhalten. Und ob das funktionieren würde, wollte ich mir ansehen. Schließlich platziert sich Magic Life ja auch sonst nicht als Unternehmen mit Zielgruppe "Plattenbau".

Foto: Thomas Rottenberg

Meine Neugierde wurde befriedigt - und meine kleine Hoffnung, dass Krause neben dem Ballermann-Grauen auch noch zumindest ansatzweise anderes zu bieten hat, im Ansatz erstickt.

Foto: Thomas Rottenberg

Obwohl sich sogar die grölenden Deutschen (die Österreicher waren teils echt fassungslos) ...

... am nächsten Morgen fragten, ob und wie dieser Künstler und das Image des Clubs zusammenpassen.

Aber das ist eine andere Geschichte, die es demnächst in meinem anderen Blog zu lesen geben wird. Was noch hierher gehören könnte: Eigentlich hätte ich Herrn Krause gerne zu einer Laufrunde am Strand eingeladen. Weil die meisten Menschen da - genauso wie beim Kochen - recht rasch aus ihren angecoachten Erzählmustern herausfallen. Aber ich hab dann doch drauf verzichtet. (Thomas Rottenberg, derStandard.at, 30.4.2014)

Von mehr als nur dem Laufen erzählt Thomas Rottenberg übrigens hier:

derrottenberg.com

Foto: Thomas Rottenberg