In 58 Meter Höhe dreht sich alles um die Frage "Was tun mit ausrangierten Kernkraftwerken?".

-> Weitere Bilder vom "Ringelspiel im Reaktor" gibt's in dieser Ansichtssache.

Foto: Dietmar Scherf

Kinderlachen schallt von den Wänden im Innern des stillgelegten Kühlturms. Eine Klingel ertönt, dann schraubt sich ein Karussell 58 Meter vom Boden empor bis über die Öffnung des Turms.

Den Blick über dem Betonkoloss auf die Landschaft des Niederrheins genießen einige Fahrgäste besonders. In den 1970er-Jahren standen sie dort unten auf den Feldern, hielten Protestplakate in den Händen und sangen Lieder wie "Hejo! Leistet Widerstand, gegen die Atomkraft hier im Land. Schließt euch fest zusammen. Schließt euch fest zusammen." Zehntausende demonstrierten gegen den Bau des schnellen natriumgekühlten Reaktors und die geplante hochriskante Umwandlung von Uran in Plutonium.

Auf einem Stadel im Kalkarer Ortsteil Hönnepel, gut 60 Kilometer nordwestlich von Duisburg, sind die Parolen noch zu lesen: "Stop Kalkar!", "Wir wollen leben" und "Narrensicher". 1985 wurde das Kraftwerk fertiggestellt, ging aber nie ans Netz. Das "Höllenfeuer" dürfe nicht entfacht werden, sagte damals der SPD-Landtagsfraktionschef Friedhelm Farthmann, und 1991 verkündete Bundesforschungsminister Heinz Riesenhuber von der CDU das Aus für die dreieinhalb Milliarden Euro teure Anlage.

Was tun mit einem ausrangierten Kernkraftwerk? Die Frage wird in Deutschland durch den beschlossenen Atomausstieg noch häufig auftauchen. In Kalkar boten die Betreiber die Anlage per Zeitungsannonce zum Verkauf, bewarben den Standort mit der Nähe zur Autobahn und dem Anschluss ans Hochspannungsnetz. Es gab Pläne, aus dem Meiler eine Dachziegelfabrik zu machen, Lagerhallen oder ein Mahnmal für verfehlte Energiepolitik. Ein Abriss schien zu teuer.

Dann kam der Niederländer Hennie van der Most mit seinem Hubschrauber eingeflogen. 1975 begann der Unternehmer im Alter von 25 Jahren mit einem Alteisenhandel, heute verwandelt er reihenweise ausgediente Industrie- und Militäranlagen in Freizeitparks. Einen Luftwaffenstützpunkt im niedersächsischen Wangerland machte er zur "Nordsee-Spielstadt" mit "Indoor-Achterbahn" und "hüpfenden Autos", ein Erdgaskraftwerk in Meppen zum "Funpark" mit "Quadstrecke" und "Offroad-Parcours".

Reaktorgeist im Westernsaloon

Den schnellen Brüter, wie dieser Typ von Kernkraftwerk genannt wird, gestaltete van der Most zum "Wunderland Kalkar" um. Die früheren Verwaltungsgebäude sind nun Kern eines Hotelkomplexes mit 1000 Betten. Im Buffet-Restaurant speist man zwischen ägyptischen Figuren. In einer unterirdischen Straße mit Beiseln ziehen an Wochenenden Kegelvereine, Seniorenclubs und Gruppen, die Junggesellenabschied feiern, vom "Westernsaloon" über die "Schiffsbar" zur "Holländischen Kneipe". Knapp die Hälfte der Gäste stammt aus den Niederlanden, die Grenze ist nur einen Katzensprung entfernt. Den Lieben daheim bringt man dann den Schnaps "Reaktorgeist" aus dem Souvenirshop mit. Im Kongresszentrum nebenan sind die Tagungsräume nach Atomkraftwerken benannt: "Krümmel", "Biblis", "Philippsburg".

Kinder strömen in "Kernies Familienpark", wo es Pommes statt Plutonium gibt. Die sind im Eintrittspreis enthalten, ebenso wie der Verzehr von Eis und Limonade. Das Parkmaskottchen Kernie ist ein lurchähnlicher, orangefarbener Atomarbeiter mit blauer Latzhose und Mütze.

Schon von weitem zieht der Kühlturm alle Blicke auf sich. Seine Außenseite mit der aufgemalten Bergkulisse dient als Kletterwand. Merkwürdig wirken die grauen Felsen und schneebedeckten Gipfel auf dem flachen Land am Niederrhein. Dazu das Kettenkarussell, das alle fünf Minuten wie ein rotierender Propeller aus der oberen Turmöffnung herausgefahren kommt.

Rund um den Kühlturm schaukeln und drehen sich dutzende Ringelspiele in einer Grünanlage. Kinder sitzen in riesigen Teehäferln und lassen sich um eine Kanne wirbeln oder reiten auf fliegenden Elefanten. Pflanzen, Teiche, Kartonkulissen in knalligen Farben und schrille Figuren bilden eine künstliche Welt, die krass mit der grauen Tristesse der monströsen Reaktorgebäude kontrastiert.

Ein Riesenrad dreht auf dem Dach der ehemaligen Notstromhalle seine Runden. In der Halle befindet sich ein Museum. Die Architektur ist eine Mischung aus Bunker und Raumschiff Enterprise mit breiten Korridoren, grellen Richtungspfeilen, Gittern, Alarmlämpchen, kolossalen Toren und Rohren. Unter den Exponaten ist das Modell eines Plutoniumbrennelements. Die Originale produzierte die zur Firma Siemens gehörende Alkem (Alpha-Chemie und Metallurgie) im hessischen Hanau östlich von Frankfurt. Die Fabrik wurde mittlerweile ebenfalls stillgelegt und steht auf der Liste der größten Investitionsruinen Deutschlands.

Kalkar hat einen enormen Standortvorteil: Die Anlage ist frei von Radioaktivität. Obwohl alles voll funktionsfähig war, wurde dort nie Atomstrom produziert. Der Spaß im Kernkraftwerk wird also ein skurriler Einzelfall bleiben. (Dietmar Scherf, Rondo, DER STANDARD, 2.5.2014)

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