Graz - Das Land Steiermark schafft den Angehörigen-Regress in der stationären Pflege ab. Landeshauptmann Franz Voves (SPÖ) und Vize Hermann Schützenhöfer (ÖVP) gaben diesen Schritt am Dienstag bekannt. Die Steiermark war das einzige Bundesland mit einer derartigen Regress-Regelung.

Wie Gesundheitslandesrat Christopher Drexler (ÖVP) begründete, sei es das "Alleinstellungsmerkmal" der Steiermark, das als ungerecht empfunden wurde und letztlich der Grund für die Abschaffung sei. LH Franz Voves (SPÖ) kündigte an, auf die Bundesregierung zugehen zu wollen, um eine solidarische Pflegefinanzierung bis 2018 auf die Beine zu stellen. Die Abschaffung erfolgt mit 1. Juli.

Voves räumte ein, dass sich an der Haltung grundsätzlich nichts geändert hätte: "80 Prozent pflegen ihre Angehörigen daheim, und jene, die sie in Pflegeheimen unterbringen, sind nicht bereit, einen Beitrag zu leisten?" Dennoch: Weil die Steirerinnen und Steirer den Eindruck hatten, sie seien "Menschen zweiter Klasse", habe man reagieren müssen. Der Entfall von zuletzt 11,12 Mio. Euro - plus 0,4 Mio. für 250 Regressfälle bei der Mindestsicherung - werde über Einmalerträge bis 2018 kompensiert.

"Hansaplast-Politik"

Die Bundesregierung sei nun gefordert, mit den Ländern an einer Lösung zu arbeiten, sagte LH-Vize Hermann Schützenhöfer: "Die Frage, wer die inzwischen fünf Mrd. Euro, für die Bund und Länder aufkommen, zahlen soll, wird nicht gestellt." Der Pflegefonds, der 2016 bei 350 Mio. Euro eingefroren und bis 2018 fortgeschrieben werde, sei "Hansaplast-Politik", meinte Drexler.

Voves verband mit dem Appell für eine bundesweite Finanzierungslösung die Aufforderung an die Bundesregierung, endlich "die Hausaufgaben in den Strukturen" anzugehen: "Wenn ich nie was angreife, bin ich natürlich mit dem Argument der Lohnnebenkosten konfrontiert. Sonst könnte man über mehr Steuergerechtigkeit auch mit der Wirtschaft reden, und die Pflegeversicherung hätte auch noch Platz." In der Steiermark spare man bis zur Mitte der nächsten Periode 250 Mio. Euro ein, beim Bund müsste das Zehn- bis Fünfzehnfache drinnen sein. Er, Voves, werde "sehr heftig auf die Bundesregierung zugehen, um zu erklären, wie das sehr wohl ginge".

Zuletzt leisteten 6.226 Personen Pflegeregress mit durchschnittlich 150 Euro im Monat. Mit der Wiedereinführung 2012 war auch ein Lenkungseffekt weg von der stationären Pflege beabsichtigt. Die Opposition, aber auch ÖGB, AK, Seniorenvertreter sowie zahlreiche Gemeinden forderten immer wieder die Abschaffung. Mit seinem Amtsantritt hatte der neue ÖVP-Gesundheitslandesrat Christopher Drexler im März einen "Nachdenkprozess" angekündigt.

Zustimmung in Bund und Land

Sozialminister Rudolf Hundstorfer (SPÖ) zeigte sich erfreut, die Opposition feierte und Pensionistenverband-Chef Karl Blecha jubelte: "Österreich ist Pflegregress-frei!"

"Mit der Abschaffung gilt nun in ganz Österreich, dass die Kosten in der stationären Pflege von der öffentlichen Hand getragen werden, wenn die Pensionen und das Pflegegeld der Betroffenen dafür nicht ausreichen", so Hundstorfer in einer Aussendung. ÖVP-Sozialsprecher August Wöginger erkannte einen "wichtigen Schritt für ein einheitliches System". SPÖ-Sozialsprecherin Sabine Oberhauser und die SPÖ-Sprecherin für Menschen mit Behinderung, Ulrike Königsberger-Ludwig, begrüßten, dass auch der Angehörigen-Regresses bei der Mindestsicherung abgeschafft wird. Die Wiener Gesundheits- und Sozialstadträtin Sonja Wehsely (SPÖ) sah in der Maßnahme eine wichtige Voraussetzung zu einem gerechten Zugang zu Pflege und Betreuung. Von einem "Sieg der Vernunft" sprach Volksanwalt Günther Kräuter. Den Erfolg für sich reklamierte der ÖVP-Seniorenbund ("Seniorenbund mit Abg. Hammerl setzte sich durch") und naturgemäß die Opposition.

Die Grüne Sozialsprecherin Judith Schwentner bezeichnete die Abschaffung als überfällig und appellierte an Bund und Länder, um gemeinsam zu einer nachhaltigen Lösung der Pflegefinanzierung zu kommen. Auf die Abschaffungs-Initiativen der FPÖ in Nationalrat und Landtag wies der Dritte Nationalratspräsident und FPÖ-Pflegesprecher Norbert Hofer hin. Für das Team Stronach meinte Landesobfrau Waltraud Dietrich, "traurig, dass es so lange gedauert hat, bis Verständnis und Vernunft Einzug gehalten haben". Sie will bundeseinheitliche Kriterien für die Einstufung in die Pflegestufen. Für das BZÖ forderte Obmann Gerald Grosz die Rückzahlung der bisher geleisteten Regresszahlungen, NEOS-Arbeits- und Sozialsprecher Gerald Loacker wünschte sich eine offene Diskussion über die Zukunft der Pflegefinanzierung .

In der Steiermark feierte die Opposition, die u.a. 14 Anträge zur Abschaffung ins Landesparlament eingebracht hatte. Die KPÖ hielt eine spontane Kundgebung vor der Grazer Burg, wo das Regress-Aus verkündet wurde, ab, die Grünen titelten "Widerstand zahlt sich aus". Begrüßt wurde die Abschaffung von ÖGB, Arbeiter- und Wirtschaftskammer, Volkshilfe und Hilfswerk. (APA, 29.4.2014)