In Washington versuchen US-Präsident Barack Obama und die deutsche Kanzlerin Angela Merkel eine einheitliche Linie in Sachen Ukraine-Konflikt zu präsentieren. Aber die Brüche in der atlantischen Allianz können sie nicht ganz verstecken: Während die USA auf immer härtere Maßnahmen gegen Russland drängen, stehen viele EU-Staaten, allen voran die Deutschen, auf der Bremse.

Das liegt nicht etwa daran, dass Obama und Merkel die Politik des russischen Präsidenten Wladimir Putin anders einschätzen. Aber sie sind unterschiedlichem Druck ausgesetzt: In Berlin plädieren Wirtschaftsbosse für ein vorsichtiges Vorgehen, in Washington wird Obama selbst von Parteifreunden der Schwäche bezichtigt, wenn er Putin nicht stoppt.

Für Europa geht es ums Eingemachte

Doch diese Rollenaufteilung ist verkehrt: Für die USA ist die Ukraine nur ein Weltkonflikt unter vielen. Für Europa aber geht es ums Eingemachte: Putins Subversions- und Aggressionspolitik ist nicht nur gegen die Regierung in Kiew und die Einheit der Ukraine, sondern auch gegen das gesamte europäische Integrationsmodell gerichtet, das sich für so viele Osteuropäer als höchst attraktiv erwiesen hat. Diese Entwicklung will Putin stoppen, bevor sie sich weiter nach Osten ausbreitet, und wenn möglich rückgängig machen. Daher findet er sich in so trauter Einigkeit mit den EU-Gegnern an Europas rechtem Rand.

Ein Erfolg für den Kremlherrn würde daher die Grundfeste der europäischen Wirtschaft erschüttern: den Binnenmarkt mit dem freien Verkehr von Waren, Dienstleistungen und Menschen - und letztlich auch den Euro. Den Europäern müsste daher alles daran gelegen sein, Russland zur Kehrtwende zu bewegen - durch die richtige Mischung aus Druck und Diplomatie.

Nur ausgewählte Unternehmen betroffen

Wenn man Politikern und Spitzenmanagern aber dieser Tage zuhört, dann geht es ihnen meist um den Schaden, den Europas Wirtschaft durch den Konflikt erleiden könnte. Vor allem in Österreich wird lautstark vor dem Verlust von Energielieferungen, Exportchancen und Finanzgeschäften mit russischen Oligarchen gebangt, sollten die Sanktionen verschärft oder Wirtschaftsbeziehungen überhaupt eingefroren werden.

Nun ist Russland für Österreich ein profitabler Markt, in dem im Vorjahr 4,6 Milliarden Euro an Waren und Dienstleistungen abgesetzt wurden. Aber wirklich wichtig ist er nur für ausgewählte Unternehmen, nicht für die Gesamtwirtschaft. Was in Deutschland, Italien oder China geschieht, wirkt sich stärker auf Wachstum und Jobs aus als eine Eskalation in der Ostukraine.

Russland braucht Einnahmen

Das einzige echte ökonomische Risiko ist ein Ausfall russischer Gaslieferungen, doch dieses Szenario ist nur wenig realistisch. Russland braucht die enormen Einnahmen aus Energieexporten noch mehr als Europa das Gas, ein kalter Winter in europäischen Wohnzimmern wäre in Moskau noch kälter.

Die Angst vor wirtschaftlichen Schäden wird vom Kreml bewusst geschürt und verhindert, dass Europa zu einer geschlossenen Haltung findet. Dadurch aber gehen auch den USA wirksame Druckmittel gegenüber Putins Expansionismus verloren. Solange die Europäer Russland signalisieren, dass sie sich vor dem Konflikt mehr fürchten als vor einer Niederlage, wird der schlimmste Ausgang immer wahrscheinlicher: ein blutiger Konflikt und ein Rückschlag für all das, wofür Europa stehen will. (Eric Frey, DER STANDARD, 3./4.5.2014)