Glucksen, Keuchen und Deklamieren: Blixa Bargeld sinniert über Buntmetalldiebe. 

Foto: David Visnjic

Krems - Fast wäre der Auftritt geplatzt. Zu der falschen Gin-Sorte, die dem Künstler in der Garderobe gereicht wurde, ließ sich auch nicht das richtige Tonicwater aus dem britischen Königreich finden! Ein Raunen ging auch durch die Menge, als ruchbar wurde, dass zuvor das Abendessen im Altstadtlokal brüsk zurück in die Küche geschickt und der Intendanz in einer wütenden elektronischen Kurzbotschaft übermittelt worden war, dass nun alles am seidenen Faden hinge.

Es ging dann aber doch alles leidlich gut aus. Blixa Bargeld konnte sich neben seiner Kernkompetenz, untergeordnetes Personal aus der Gastronomie zu terrorisieren und dadurch seinen Ruf als Wolfram Siebeck der altehrwürdigen Industrial-Szene zu festigen, beinahe voll auf seinen Auftritt im Kremser Stadtsaal konzentrieren. Die Mariah Carey aus der einstigen Mauerstadt Berlin stand im feschen Dreiteiler gemeinsam mit dem italienischen Filmkomponisten Teho Teardo auf der Bühne.

Das Duo stellte gemeinsam mit einem Streichquartett plus einmal Cello extra sein Album Still Smiling zum Abschluss des Donaufestivals 2014 vor vollem Saal vor. Schwer wie ein bauchiger Rotwein wird hier eine Kammermusik mit spröder Spaghettiwestern-Romantik kombiniert, in die sich öfters die Seeräuber-Jenny von Brecht/Weill schleicht und bei Kopf ab "Hoppla!" ruft. Das Wüten und Toben barfuß in der gut gefüllten Panier bei den zunehmend altherrenrockigen Einstürzenden Neubauten steht dem Mann ohnehin schon seit Längerem nicht mehr so recht.

Hier mit bedächtig arrangierter Begleitmusik steht die nach wie vor sensationelle Stimme im Vordergrund. Zwischen Zähnemahlen, Glucksen, Keuchen, Deklamieren und dem Nachmachen der Geräusche einer startenden Feuerwerksrakete blitzt immer wieder nicht nur der blanke Terror durch. Zu diesem sind kreative Feuerköpfe nun einmal fähig, wenn ihnen mitgeteilt wird, dass das mittags nachdrücklich als Garderobenjause geforderte und gleich wieder abbestellte Brathendl bei neuerlicher Nachfrage am Abend (die Restaurantsituation, wir erinnern uns!) schon frech anderweitig verputzt wurde.

Bargeld zeigt gegenüber seinem treuen Publikum dankenswerterweise eine manchmal in Selbstironie kippende Altersmilde, die von Hagiographen als bildungsbürgerlicher Humor gedeutet werden könnte. Immerhin skandiert Bargeld im erstklassig lustigen Poem Buntmetalldiebe nicht nur herum, als gelte es, seine früheren TV-Werbungen für den Häuslbauer-Konzern Hornbach in nörgelgreiswürdige Poesie für die großen deutschen Festspielhäuser zu transformieren. Flex, Seitenschneider, Starkstromleitung, all das geht über in entkernte Mehrfamilienhäuser, Kabelschächte, Steigleitungen, Heizkörper. Die Buntmetalldiebe ("Hokus Pokus Verschwindibus!") sind immer und überall: "Im öffentlichen Raum ist nichts mehr übrig ..."

Schweifen der Gedanken

Was vielleicht nicht allen im Saal bewusst ist: Bargeld ortet diesen Schrecken auch mit lokalem Bezug. "Der Zug bleibt stehen, er kann nicht anders. Ohne Gleise, ohne Strom. Zwischen Senftenberg und Finsterwalde fehlen 100 Meter Bronzeseil!" In Senftenberg wird schließlich nur wenige Kilometer oberhalb von Krems guter Wein angebaut. Wein, das Getränk, das einst schon von den alten Dings und aktuell von der Schlaraffia, dem weltweit noch immer aktiven deutschsprachigen Verein zur Pflege von Freundschaft, Kunst und Humor besungen wurde und wird.

Lethe ist aber auch der Fluss des Vergessens in der griechischen Unterwelt. In Nocturnalie räsoniert Bargeld genau darüber. Der Kreis schließt sich: "Betäubt bin ich jetzt wohl schon genug, von untenrum bis obenhin. Vielleicht betrunken sogar. Die Keimzelle ist ein Dilemma, das konsequent betäubt, in Alkohol gelöst sich verflüchtigt in der Tinktur, mit einem Quäntchen Ignoranz - oder besser noch: Vergesslichkeit."

Darum macht es Spaß, in einem Konzert von Blixa Bargeld zu stehen. Man kommt endlich wieder einmal zum Schweifen der Gedanken. Dass er den Satz mit dem Kunden und dem König vielleicht so verstanden hat, dass sich Könige deshalb nicht höflich benehmen müssen, kann uns Leuten im Saal ja egal sein. Nach hinten wurden übrigens auch Rotweine geordert, die aufgrund des Preis-Leistungs-Verhältnisses kein Kopfweh machen dürften. Vielleicht waren welche aus Senftenberg dabei. (Christian Schachinger, DER STANDARD, 5.5.2014)