Mehr Fotos gibt's in einer Ansichtssache.

Foto: Alexander Reisenbichler

Berge gibt es in Südkorea sehr viele. Fast das ganze Land ist hügelig bis bergig, vom Seoraksan nahe der nordkoreanischen Grenze zum Jirisan im Süden, bis hin zum Hallasan auf der Insel Jeju, die ein einziger großer erloschener Vulkan mit vielen kleinen erloschenen Vulkanen an dessen Hängen ist. Südkorea lässt die Herzen Wanderlustiger höher schlagen. Mit Berggipfeln unter 2000 Metern sind die Wanderwege auch für Ungeübte relativ leicht bewältigbar. Doch von diesen Wanderwegen möchte ich heute nicht erzählen.

2007/2008 hat eine Umweltschutzorganisation beschlossen, alte Wege, die früher Dörfer miteinander verbunden haben, wieder zu beleben. Mit der Einführung von geteerten Straßen wurden viele einspurige Straßen und Wege durch den Wald zu Geisterstraßen. Kleine Gehwege in den Dörfern verloren ihre Bedeutung, überwucherten oder verkamen zu Holzlagerstätten. Die Umweltschutzorgansiation, denen auch die traditionelle Kultur Südkoreas sehr am Herzen lag, wollte diese alten Wege wiederbeleben und so erstellten sie eine Karte, auf denen diese verzeichnet waren. Langwierige Diskussionen gingen dieser Kartenerstellung voraus, einige Anrainer waren dagegen, befürchteten eine Kommerzialisierung ihres Lebensraumes, andere erhofften sich Einnahmen durch Touristen.

Die Wanderer kommen

Als die Karte fertiggestellt war, beschloss die Organisation, diese in das Internet zu stellen. Schlagartig begannen Reisebüros Touren anzubieten. Da es anfangs noch nicht genügend Unterkünfte gab, luden die Busse die Touristen an einer Stelle ab, holten sie am späten Nachmittag an einem vereinbarten Ort wieder ab und kutschierten sie zurück in die Städte. Nach und nach entstanden Pensionen und viele Dorfbewohner, die ein oder zwei leere Zimmer hatten, begannen diese zu vermieten (diese werden Minbak genannt). Da es in den meisten Dörfern keine Gasthäuser gab, bekam man in den Minbak für umgerechnet drei Euro eine Mahlzeit. Für viele Dorfbewohner stellte das ein willkommenes Zusatzeinkommen dar.  Nicht alle Leute erhalten im Alter eine Pension und die Pension von Bauern ist so gering, dass man davon fast nicht leben kann.

Einer dieser alten Waldwege, der Sannae und Macheon miteinander verbindet ist zwei Kilometer lang und wurde zu einem Wanderweg umgestaltet. An sehr steilen Wegstücken entstanden Holztreppen, unbefestigte schmale Wege wurden mit Steinen ausgelegt und so leicht begehbar gemacht. Kannte man das Dorf Changwon, in dem wir leben, vor ein paar Jahren nicht einmal im zehn Kilometer entfernten Sannae, so war es danach sogar in Seoul bekannt. Der Grund, dass man das Dorf Changwon in Sannae nicht kannte ist, dass Sannae in Chollabukdo, und Changwon in der Großgemeinde Macheon in Kyeongsangnamdo liegt, also in zwei verschiedenen Bundesländern, die nicht sehr gut aufeinander zu sprechen sind. Zwar leben in diesem Grenzgebiet in den Dörfern ältere Frauen (zumeist über 70) aus dem jeweils anderem Bundesland, doch heutzutage sind die Interaktionen sehr beschränkt, es gibt kaum Freundschaften und schon gar keine Heiraten (das bezieht sich nur auf die Dörfer im Grenzgebiet, Städter teilen diese Vorurteile nur begrenzt).

Der Wanderweg und seine Folgen

Mit steigendem Bekanntheitsgrad stiegen die Landpreise erheblich, mehr und mehr Leute der Zurück-aufs-Landbewegung zogen nach Sannae und teilweise auch in die Großgemeinde Macheon. Cafehäuser entstanden, Bauern begannen ihre zuvor wertlosen Reisfelder zu verkaufen, Häuser wurden darauf gebaut, in Nachbardörfern, die nicht entlang des Wanderwegs lagen, stieg der Neid. Kidae (37), der gegenüber von Changwon lebt, meinte: "Seit dem Wanderweg sind die Leute aus dem Changwondorf immer geiziger geworden, sehen nur mehr das Geld."

Da das Land noch vor einigen Jahren so gut wie nichts wert war, stand ein Haus oft teilweise auf dem Nachbarsgrundstück Plötzlich erinnerte man sich dessen wieder und zwang den Nachbarn, ihm diese drei Quadratmeter abzukaufen. Der ehemalige Bürgermeister, der mit seinem Familienklan das Dorf Changwon dominiert, hat einer alten alleinstehenden Frau mit einem gefälschten Vertrag Land abgeschwatzt, da ihre kleine Parzelle genau dort stand, wo er eine Pension errichten wollte. Viele Söhne und Töchter der Dorfbewohner kamen plötzlich wieder öfter zu Besuch, innerhalb weniger Jahre stiegen die Grundstückspreise um das dreifache, ein Umstand, der sich auch auf den Zuzug der Zurück-aufs-Landbewegung auswirkte. Kamen am Beginn der Bewegung sehr viele wirtschaftlich unbegünstigte Menschen nach Sannae, die in kleinen Häusern für jährlich umgerechnet 300 Euro Miete wohnten, und versuchten durch Landwirtschaft oder handwerkliche Berufe ihren Lebensunterhalt zu verdienen, stieg der Zuzug finanziell betuchterer Menschen Einige nutzen ihre neu gebauten Häuser als Wochenend- bzw. Sommerhäuser.

Da viele Wanderwege auch an Feldern vorbeiführten, pflückten einige Touristen die von den Bauern angepflanzten agrarischen Produkte und manchmal auch Blumen, deshalb errichteten viele Bauern plötzlich Zäune, die nicht unbedingt eine ästhetische Bereicherung darstellen.

Fortschreitende Bauwut

Da die meisten der Wanderwege nicht durch Naturschutzgebiete verlaufen, kauften einige Leute direkt an den Wanderwegen Land und errichteten Pensionen. Das entsprach natürlich absolut nicht der Idee der Umweltschutzorganisation, aber dieser Prozess war nicht aufzuhalten. Das weitgehende Fehlen baurechtlicher Bestimmungen am Land zerstörte oft das Dorfbild und mitten im Dorf entstanden große Pensionen, die die kleinen traditionellen Häuser überragten. In anderen Dörfer wurden die Pensionen am oberen Rand der Dörfer errichtet und so blieb das Dorfbild weitgehend erhalten.

Schnell wurden an den Wanderwegen Zelte oder kleine überdachte Holzpavillions hochgezogen, wo man Alkohol, Fertignudelgerichte und Gemüsepalatschinken kaufen konnte. Daneben boten die Bauern auch ihre landwirtschaftlichen Produkte an. Einige andere Bauern setzten sich in Grüppchen von drei oder vier Leuten an Weggabelungen und boten saisonale Kräuter oder Beeren aus den Bergen an und besserten so ihre Pensionen auf.

Im Gegensatz zu den Wanderwegen, die auf den Gipfel des Jirisan führen, kann man auf den Dorfwanderwegen nicht nur die Natur genießen sondern auch etwas über die Kultur Südkoreas erfahren. Probleme für westliche Touristen sind das Fehlen englischsprachiger Beschilderungen und Speisekarten, lokale Restaurants bieten auch keine westlichen Speisen an und detaillierte Karten auf Englisch habe ich auch keine gefunden. Aber die Freundlichkeit der hiesigen Bevölkerung und der eine oder andere Einheimische mit Englischkenntnissen machen diese Wanderung zu einem tollen Erlebnis. (Alexander Reisenbichler, derStandard.at, 7.5.2014)