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Eine Gruppe junger Turmfalken in einem städtischen Nest. Wie Forscher zeigen konnten, sind die City-Falken nicht gestresster als ländliche Artgenossen.

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Das Trojanische Pferd der Wanzen: künstliche Eier, mit den für Turmfalken typischen braunen Flecken angefärbt. Durch die Öffnung konnten die Wanzen zu den brütenden Vögeln vordringen.

Foto: Karl Leitner / Vienna Wildlife

Wien - Brütenden Vögeln Blut abzunehmen, ist in vielen Fällen keine einfache Aufgabe - schon gar nicht, wenn es sich dabei um Turmfalken handelt: Erstens nisten sie in der Stadt gerne hoch oben in schwer zugänglichen Gebäudenischen, und zweitens bekommt man sie nur in die Hand, wenn man sie recht aufwändig fängt. Das ist jedoch mit einer Stressbelastung verbunden und macht es unmöglich, Stresshormone zu messen, die auf Umweltfaktoren zurückzuführen sind. Außerdem kann es vorkommen, dass die Vögel das Nest in der Folge überhaupt aufgeben.

Petra Sumasgutner vom Department für Integrative Zoologie der Universität Wien, die seit fünf Jahren mit finanzieller Unterstützung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften die Turmfalken der Bundeshauptstadt untersucht, hat einen ungewöhnlichen Weg getestet: die Blutabnahme via ins Nest eingeschleuste Raubwanzen. Die Methode kennt man seit 2006, bisher wurde sie aber nur bei koloniebrütenden und bodenbrütenden Vögeln verwendet, an deren Nester problemlos heranzukommen ist.

An den Turmfalken wurde erstmals untersucht, inwieweit sie sich auch für weniger zugängliche Vögel und Neststandorte eignet: Rund ein Drittel der 60 Nester, die Sumasgutner in Wien regelmäßig kontrolliert, ist nur durch das Erklettern von Bäumen und Fassaden zu erreichen.

Für das Wanzenexperiment designte Sumasgutner gemeinsam mit Iris Rubin, einer Modellbauexpertin des Naturhistorischen Museums Wien, künstliche Eier, die mit den für Turmfalken typischen braunen Flecken angefärbt wurden. Die Schalen der Eiattrappen bestanden großteils aus einem harten Kunstharz, an einer Stelle aber aus Polyurethanschaum - der Schwerpunkt der Eier war dadurch so gelagert, dass die durchlässige Stelle immer nach oben schaute.

Falsche Brut

Hinein kam jeweils ein circa 1,5 Zentimeter großes Exemplar von Dipetalogaster maxima, einer in Mexiko beheimateten Wanzenart, die dort das Blut von Eidechsen saugt. Wie die meisten Vögel haben auch brütende Turmfalken einen sogenannten Brutfleck, eine nackte, gut durchblutete Hautstelle am Bauch, die eine optimale Wärmeübertragung vom brütenden Vogel auf die Eier erlaubt - und in diesem Fall auch den Stich der Wanze.

Um sicherzustellen, dass die Insekten auch wirklich motiviert waren, ließ Sumasgutner sie vorher mehrere Wochen hungern, was sie auch unter natürlichen Bedingungen oft müssen.

Insgesamt brachte die Biologin in 26 Nester jeweils ein künstliches Ei plus Wanze ein, das sie drei bis vier Stunden später wieder entfernte. In der Folge wurde das Falkenblut mit einer dünnen Nadel direkt aus dem Hinterleib der Insekten gewonnen. Erstaunlicherweise ist das eine Prozedur, die die Wanzen anstandslos überleben: "Wenn sie gemeinsam gehalten werden und Hunger haben, stechen sich die Wanzen auch gegenseitig, und die Kanüle, die wir verwenden, ist dünner als der Stechrüssel der Wanzen", führt Sumasgutner aus.

Kein Stress

Das so gewonnene Blut wurde im Labor des Naturhistorischen Museums Wien untersucht. Dabei stellte sich unter anderem heraus, dass die Wiener Turmfalken kaum Blutparasiten tragen und City-Falken nicht gestresster sind als Vögel, die am Rand der Stadt leben.

Zusätzlich ermöglichen die Blutuntersuchungen ein genetisches Fingerprinting der brütenden Vögel. Damit können diese auch ohne Beringung individuell erfasst werden, was für die Erhebung von Verwandtschaftsbeziehungen oder Untersuchungen der Nistplatztreue unabdingbar ist.

Negative Auswirkungen des Wanzenstichs auf die Vögel gab es nicht. "Die Methode ist viel einfacher und für die Vögel viel weniger stressig als die Blutabnahme durch Menschen", sagt Sumasgutner. Nach spätestens vier Stunden müssen die Wanzen allerdings wieder zurückgeholt werden, weil das Blut sonst schon verdaut wird. (Susanne Strnadl, DER STANDARD, 7.5.2014)