Wir sind doch alle für den Frieden. Mehr noch als das Bekenntnis zur Demokratie ist das zum Frieden zur einschläfernden Selbstverständlichkeit geworden. Überall soll es Frieden geben - na und?

Und dennoch kann die flache Friedensrhetorik Millionen mobilisieren, wenn es konkret wird; wenn es um einen speziellen Fall des Unfriedens geht. So erlebt im Frühjahr 2003, als weltweit für den Frieden demonstriert wurde - für den Frieden im Irak.

Für den Frieden im Kongo wurde und wird nicht demonstriert. Obwohl dort, seit der Invasion der Truppen aus Uganda und Ruanda, aus Angola, Sambia und Simbabwe - seit 1997 - etwa 2,5 bis drei Millionen Menschen dem Krieg zum Opfer gefallen sind.

Wir alle sind für den Frieden. Aber Friede ist nicht gleich Friede - weil Krieg nicht gleich Krieg ist. Kriege werden von uns - in Österreich und in Frankreich, in Kanada und in Griechenland - dann wirklich wahrgenommen, wenn der Krieg medial stattfindet: in den Nachrichtensendungen des Fernsehens; in den Schlagzeilen der Zeitungen. Und der Krieg findet dann richtig statt, wenn die hegemonialen Medien - also die US-amerikanischen - prominent darüber berichten. Diese tun dies aber nur, wenn die US-Boys and -Girls in die Schlacht ziehen.

Das erste Paradoxon: Fixierung auf die USA
- dank den USA

Und so entsteht ein Paradoxon: Die Konzentration der Friedensrhetorik auf die Kriege, an denen die USA beteiligt sind, ist das Produkt der US-Hegemonie. Schauen die USA den Kriegen irgendwo weit hinten in Afrika - in Liberia oder eben im Kongo - unbeteiligt zu, dann erreichen diese Kriege gar nicht das Massenbewusstsein; und dann provozieren sie nicht die US-kritischen Emotionen, die Kriege mit US-Beteiligung hervorrufen. Die von den US-Medien beherrschte globale Medienlandschaft ist verantwortlich für eine selektive Wahrnehmung des Unfriedens - nur amerikanische Kriege finden wirklich statt; und nur amerikanische Kriege mobilisieren daher die Friedensbewegten.

Paradox ist es, wenn die Kritiker der US-Politik und der US-Hegemonie ebendieser in die Falle gehen. Sie sehen die Welt aus der Perspektive der US-Medien: Nur wo GIs sind, dort ist wirklich Krieg. Paradox ist es, wenn die US-Bezogenheit der US-Medien weltweit eine negative Fixierung produzieren, wenn der selektive Jingoismus der US-Medien einen ebenso selektiven Anti-US-Rückschlag produziert. Paradox ist es, wenn eine naive (weil unreflektiert selektive) positive Fixierung auf die USA eine ebenso naive negative Fixierung kreiert.

Dieses - erste - Paradoxon wird oft mit dem Hinweis rationalisiert, die Kriege der Diktaturen seien deshalb nicht so interessant, weil diese nicht die Werte im Munde führen würden, die von den Friedensbewegten vertreten und von den USA für sich beansprucht werden: Menschenrechte und Demokratie. Und da die USA die wohl einzige stabile, liberale, westliche Demokratie sind, die tatsächlich noch Kriege führt, müssten Demokratinnen und Demokraten die USA eben schärfer beurteilen als - sagen wir - Nordkorea und Liberia.

Konsequent zu Ende gedacht bedeutet das, dass die Verpflichtung zum Frieden nur für Demokratien so richtig gilt; dass es daher zweierlei Maßstäbe gibt - und Demokratien, weil sie Demokratien sind, grundsätzlich strenger bewertet werden. Die hinter dieser Unterscheidung versteckte Botschaft an Diktaturen ist: Werdet nur ja nicht zu Demokratien, denn als solche dürft ihr nicht mehr Kriege führen.

Das zweite Paradoxon:
gute Kriege - böse Kriege

Johan Galtung hat schon vor Jahrzehnten mit der Unterscheidung zwischen "positivem" und "negativem" Frieden Nachdenklichkeit provoziert: Schlimmer noch als Krieg (der den "negativen Frieden" verletzt, definiert durch die Abwesenheit von Krieg) kann die Verletzung des "positiven Friedens" sein: Totalitarismen à la Hitler und Stalin, koloniale Unterdrückung und imperialistische Hegemonie.

Folgt man Galtung, dann ist es nur konsistent, die Lehre vom "gerechten Krieg" wiederzubeleben. Die Kriegserklärung der britischen und der französischen Regierung vom 3. September 1939 war das vermutlich wichtigste Beispiel für einen "gerechten Krieg" im 20. Jahrhundert. Antikoloniale Befreiungskriege haben dasselbe für sich beansprucht: den (negativen) Frieden zu verletzen, um den (positiven) Frieden herzustellen oder ihm zumindest näher zu kommen.

Die Unterscheidung in gute (gerechte) und böse (ungerechte) Kriege entspricht nicht nur der Tradition der katholischen Lehre - sie entspricht auch der Tradition des Marxismus. Friedrich Engels war kein Pazifist - und Lenin schon gar nicht. Doch nur die konsequenten Pazifisten nehmen den Frieden als Primärwert, den zu schützen über alles geht. Alle anderen, die sich mit konkreten Kriegen auseinander setzten - von Franz Jägerstätter bis Che Guevara - verdammten nicht den Krieg schlechthin, sondern immer nur einen bestimmten. Sie standen und stehen auf dem Boden der katholischen Tradition - wie Johan Galtung auch.

Das dritte Paradoxon:
si vis pacem, para bellum

Neben der traditionellen Lehre der Kirche vom "gerechten Krieg" ist der altrömische Lehrsatz "Si vis pacem, para bellum" die zweite Weisheit, über die sich die allgemeine Friedensrhetorik seit dem 20. Jahrhundert mit der größten Selbstverständlichkeit hinwegsetzt. Sich zum Krieg rüsten, um den Frieden zu sichern - was hätte mehr der Einstellung der Friedensbewegten widersprochen, die 2003 gegen den Krieg der USA im Irak demonstrierten?

Und doch: Hätten die westlichen Demokratien früher zum Krieg gerüstet - wäre dann der Zweite Weltkrieg nicht eher zu verhindern gewesen? Und hätte es im Kalten Krieg nicht ein durch massive Rüstungsanstrengungen ermöglichtes "Gleichgewicht des Schreckens" gegeben - hätte nicht der Kalte rasch zum Heißen Krieg werden können?

Europa soll, so hört man, auf der Bühne der Welt den USA energischer entgegentreten. Das ist, weitgehend akzeptiert, die Lehre aus dem Irakkrieg. Wie nur soll Europa das machen? Robert Kagan hält Europa vor, der Wirklichkeit nicht ins Auge sehen zu wollen - einer Wirklichkeit, die weltweit Thomas Hobbes und seinem anarchischen Bild des Krieges aller gegen alle entspricht. Sarajewo und Srebrenica, die Killing Fields von Kambodscha und der Genozid von Ruanda - das ist die Welt, in der wir leben; und die Idylle der europäisch-amerikanischen Wohlfahrtsgesellschaft ist die Ausnahme von der Regel. Wenn das aber so ist, dann hat doch Clinton recht, als er sich bei seinem letzten Afrika-Besuch als Präsident in Ruanda schuldig bekannte - 1994 keinen Krieg zur Vermeidung (oder Reduzierung) des Genozids geführt zu haben.

Die USA sind schuldig, nicht militärisch eingegriffen zu haben. Europa, die EU, hat diese Schuld nicht - denn es hat nicht die Mittel, militärisch einzugreifen. Europa, die EU, ist nicht ausreichend gerüstet, um - im Interesse des positiven Friedens - den USA die Rolle des Weltgendarmen streitig zu machen. Europa ist nicht zum Krieg gerüstet - und kann sich daher, selbstgerecht, auf seine Wohlstandsinsel zurückziehen. Europa ist nicht für eine weltpolitische Rolle vorbereitet - und kann daher die Hegemonie der USA nicht ausgleichen.

Aber für friedensbewegte Zwischenrufe, aus den Kulissen der Nichtbeteiligten heraus - dafür ist Europa immer noch gut. []

Der Politologe und USA-Experte Anton Pelinka hat zuletzt ein Buch über den indischen Politiker Subhas Chandra Bose veröffentlicht.