Die Aufregung über die geplante Reform der Strafprozessordnung ist groß. Die Gefängnisse werden überquellen vor Häftlingen, die gar nicht wissen, wie sie dort hinkommen, fürchten Rechtsanwälte. Menschen werden als Vorbestrafte herumlaufen, ohne davon eine Ahnung zu haben. Der Grund der Ängste: die Wiedereinführung des sogenannten Mandatsverfahrens. Der Gedanke dahinter: Bei leichteren Delikten, bei denen keine Diversion möglich ist, sollen Richter am Bezirksgericht oder am Landesgericht eine Strafe ohne Prozess verhängen können. Allerdings nur, wenn der oder die Beschuldigte bereits von der Polizei einvernommen worden ist und der Sachverhalt geklärt ist - es also ein Geständnis gibt.

Als ungehöriger Autolenker kennt man das womöglich. Es blitzt aus heiterem Himmel auf der Autobahn, und ein paar Wochen später erhält man einen Brief von der Behörde, weil man zu schnell an einer Radarbox vorbeigedonnert ist. Dann hat man zwei Möglichkeiten: Entweder man zahlt die Strafe, oder man erhebt fristgerecht einen Einspruch, da man sich unschuldig fühlt.

Nicht anders ist es beim strafrechtlichen Mandatsverfahren. Bekommt man das behördliche Schriftstück zugestellt, hat man zwei Wochen Zeit, gegen die Entscheidung formlos Einspruch zu erheben.

Die Angst, erholt, aber vorbestraft nach drei Wochen Urlaub heimzukommen, ist wohl ebenso unbegründet. Versendet werden müssen die Urteile mittels RSa-Brief. Der darf nur eigenhändig zugestellt und erst nach drei Versuchen hinterlegt werden. Kann man nachweisen, zum Zeitpunkt der Hinterlegung nicht im Land gewesen zu sein, beginnt die Frist erst ab der Rückkehr zu laufen.

Die Warnung der Rechtsanwälte, dass künftig bis zu einem Jahr Haft ohne Hauptverhandlung möglich sei, stimmt so auch nicht ganz. Droht Haft, ist das Verfahren nur unter Beiziehung eines Verteidigers möglich. Ob es die Sorge um den Rechtsstaat ist oder die Furcht vor Honorarverlust, die die Verteidiger bewegt, bleibt offen.

Der Einwand, schwächere soziale Schichten seien besonders gefährdet, kann nicht einfach verworfen werden. Nur: Obdachlose kann man auch nicht zu einem regulären Prozess laden oder vorführen lassen. Und mangelnde Sprachkenntnisse sorgen bei Behördenbriefen im Gegenteil eher dazu, dass zuständige Stellen aufgesucht werden.

Die Staatsanwälte hatten nach der jüngsten StPO-Reform diese leidvolle Erfahrung machen müssen: Sie hatten eine später gestrichene Verständigungspflicht für alle Beteiligten, wenn etwa nach einem Verkehrsunfall ein Sachverständiger bestellt wurde. Und plötzlich standen dutzende Menschen vor den Büros, die keine Ahnung hatten, wie das amtliche Schriftstück zu interpretieren ist.

Bleibt die grundsätzliche Frage, ob es bedenklich ist, dass Menschen strafrechtlich verurteilt werden, ohne dass sie einen Richter sahen. Das gilt es scharf zu beobachten. Aber fairerweise sollte man erst Erfahrungswerte abwarten. (Michael Möseneder, DER STANDARD, 12.5.2014)