Österreich als Hort der Freiheit und Toleranz, ein Leuchtturm der gegenseitigen Wertschätzung. Ein schwarzer Fußballer als gefeierter Star, eine Dragqueen gewinnt für Österreich den Song Contest, beide gelten als Nationalhelden. Mit bewundernder Anerkennung blickt das liberal gesinnte Ausland auf unser kleines, liebes Land. Die Euphorie um Conchita Wurst verstellt allerdings die Sicht auf die Wirklichkeit: Österreich ist keineswegs so tolerant, wie es viele gerne hätten. Rassismus und Homophobie sind nach wie vor latent, in der Politik wie in der Bevölkerung. Die Neger, die Ausländer, die Schwulen taugen immer noch als vertraute Feindbilder, in denen breite Bevölkerungsschichten, getragen auch von Teilen der Politik, ihren Konsens finden.

Dass es jetzt eine Frau mit Bart gibt, die fast alle mögen und die uns gerade noch nicht auf die Nerven geht, ist ein Phänomen, aber kein Befund für die Situation im Land. Im Erfolg viele Freunde zu haben, ist keine große Kunst. Gerade der Mensch, der hinter dieser Kunstfigur steckt, hat in den vergangenen Monaten mehr als ausreichend Erfahrung mit Hass, Ablehnung und offenen Anfeindungen gemacht. Auch das ist eben Österreich.

Immerhin: Frau Wurst bringt Bewegung in die politische Debatte, und die Gemeinschaft der Lesben, Schwulen und Transgender-Personen fordert mit neuem Selbstbewusstsein Rechte ein - gleiche Rechte wie andere. Ob das noch immer alle so lieb und toll finden, die jetzt Frau Wurst adorieren?

Die Regierung bringt das ordentlich in Bedrängnis. Die SPÖ würde ja gerne, aber sie muss Rücksicht auf ihre Wähler nehmen, die nicht unbedingt regelmäßige Teilnehmer der Regenbogenparade sind. Dass Kanzler Faymann jetzt überlegt, Frau Wurst auf den Balkon des Kanzleramtes einzuladen, wie einst Bruno Kreisky Karl Schranz, ist herzig, birgt aber ein gehöriges Potenzial an Peinlichkeit in sich. Das ist einfach zu viel der Anbiederung.

Die ÖVP erwischt die neu aufgeflammte Debatte überhaupt am falschen Fuß. Ein bisschen bewegen will sich Michael Spindelegger ja, aber nicht so schnell und nicht so weit.

Die Lebensgemeinschaften gleichgeschlechtlicher Menschen sind in Österreich rechtlich immer noch nicht jenen heterosexueller Menschen gleichgestellt. Da gibt es eine ganze Reihe von Unterschieden und Diskriminierungen. Die beiden auffälligsten Benachteiligungen: Gleichgeschlechtliche Paare können eine "eingetragene Partnerschaft" eingehen, mit Spindeleggers zögerlichem Segen bald auch auf dem Standesamt, aber sie dürfen nicht heiraten. Gleichgeschlechtliche Paare können zwar Pflegekinder aufnehmen, sie dürfen aber keine Kinder adoptieren. Ein kleines Detail, das gut den Unterschied illustriert: Für homosexuelle Paare gibt es einen "Nachnamen", nicht aber einen "Familiennamen". Da kann die ÖVP dann doch nicht mit. Klar. Die Familie ist heilig. Für gleichgeschlechtliche Paare gilt das offenbar nicht.

Dass die Politik jetzt über die institutionalisierte Diskriminierung homosexueller Menschen reden muss, ist gut. Dass die Regierung unter Zugzwang gerät, ist gut. Nur: Die ÖVP ist noch nicht so weit. Vielleicht sind auch Teile der Bevölkerung noch nicht so weit - und die Euphorie um Conchita wird abklingen. Aber wenn eine Frau mit Bart dazu beiträgt, dass Faymann und Spindelegger einander an der Hand nehmen und ein paar Schritte gemeinsam gehen, ist schon viel erreicht. (Michael Völker, DER STANDARD, 13.5.2014)