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Arthur Schnitzler auf einem undatierten Foto. 1895 feierte er mit "Liebelei" den Durchbruch als Dramatiker, "Später Ruhm" blieb in der Schublade.

Foto: apa/dpa

Wien - In der Österreichischen Gesellschaft für Literatur wird am Donnerstag im Rahmen eines Editorenkolloquiums über den Nutzen historisch-kritischer Ausgaben diskutiert: Roland Reuß aus Heidelberg berichtet über Probleme der Kafka-Editon, Bernhard Fetz und Alexandra Millner geben Einblicke in die Werkausgabe von Albert Drach, es geht um Robert Walser und Ödön von Horváth.

Im Zentrum aber steht der vierte Band der historisch-kritischen Ausgabe des Frühwerks von Arthur Schnitzler unter der Leitung der Wiener Germanistin Konstanze Fliedl. Er widmet sich, herausgegeben von Peter Michael Braunwarth, Gerhard Hubmann und Isabella Schwentner, dem Stück Liebelei, mit dem Schnitzler 1895 seinen Durchbruch als Dramatiker feierte. Zahlreiche Entwürfe illustrieren zusammen mit dem Regiebuch der Uraufführung und den Filmbearbeitungen den Entstehungsprozess. Wie schon bei den ersten drei bei De Gruyter veröffentlichten Bänden sind alle Handschriften in Originalgröße faksimiliert und transkribiert.

Am Abend wird Michael Heltau das opulente wie sauteure Buch (zwei Teilbände mit 1170 Seiten um 410,19 Euro) im Akademietheater vorstellen. Der Doyen ist dazu wie kein anderer prädestiniert: Heltau trat sein Engagement am Burgtheater 1972 mit Liebelei an - und er gilt, wiewohl aus Ingolstadt gebürtig, vielen als der "geborene" Schnitzler-Darsteller.

Überschattet wird die Präsentation von einer angeblich "sensationellen Entdeckung": Der Zsolnay-Verlag veröffentlicht unter dem griffigen wie doppeldeutigen Titel Später Ruhm eine bisher unbekannte Novelle von Schnitzler. Der FAZ wurde das Recht eines Vorabdrucks gewährt - und die Zeitung stellte sogar eine komplette Seite zur Verfügung.

Handelt es sich tatsächlich um eine "sensationelle Entdeckung", gar um ein "Meisterwerk"? Wilhelm Hemecker, Leiter des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Geschichte und Theorie der Biographie in Wien, und sein wissenschaftlicher Mitarbeiter David Österle, die beiden Herausgeber, wollen darin eher eine "literarische Überraschung" sehen. Die Novelle sei "ein charmantes Werk", sie spiegle das Kolorit des Fin de Siècle und werfe einige Themen auf, die Schnitzler damals, 1894/95, beschäftigt haben.

Die Frage, warum die Novelle unveröffentlicht blieb, können die Herausgeber nicht beantworten. Es gibt eine lange, reichlich verworrene Vorgeschichte. Nach dem Tod Schnitzlers im Oktober 1931 blieben die literarischen Materialien, abgesehen von den in zwei Banksafes deponierten Tagebüchern, in dessen Haus in der Sternwartestraße. Olga Schnitzler, die Witwe, und Heinrich Schnitzler, sein Sohn, ließen vieles abtippen, darunter auch die Geschichte von einem greisen Dichter: "Die Novelle ist in zwei Schichten korrigiert worden, eine ist aus der Hand von Heinrich. Daraus könnte man schließen, dass er sie druckfertig machen wollte. Offensichtliche Fehler wurden behoben", so Hemecker.

Mehrere kleinere Arbeiten wurden in verschiedenen Zeitschriften publiziert, Olga Schnitzler aber bat ihren Sohn, nicht all zu viel herauszugeben, denn "sonst sieht es eines Tages schlimm aus". Zudem begannen sich die beiden ab 1933, nach der Machtübergabe an Hitler in Deutschland, Sorgen zu machen. Man überlegte sogar, ob man nicht von S. Fischer zu Zsolnay in Wien wechseln sollte. "Olga Schnitzler war zeitweise in Berlin", so Österle, "sie wusste genau, wie die Zeichen der Zeit stehen. Im Briefwechsel mit Heinrich ist die Angst vor den Nationalsozialisten deutlich spürbar."

Im März 1938, als Hitler in Österreich einmarschierte, war Eric A. Blackall, ein Student aus Cambridge, in Wien, um an seiner Dissertation zu arbeiten. Er erkannte sofort die Gefahr und brachte die britische Botschaft dazu, das Schnitzler-Archiv zu versiegeln. Wenig später wurde der gesamte Bestand nach Cambridge verschifft. In der Folge gelangten etliche Materialien, darunter die Tagebücher und viele Briefe, über die USA Ende der 1950er-Jahre wieder zurück nach Wien. Diesen Teil übernahm später das Deutsche Literaturarchiv in Marbach.

Schnitzlers Jugendsünden

In den 1990er-Jahren betreute Hemecker in Marbach auch den Schnitzler-Bestand. "Diese Erfahrung kam mir später zugute: Als Leiter des Ludwig Boltzmann Instituts durfte ich mich in Cambridge mit dem dortigen Teil des Nachlasses beschäftigen." Er stellte fest, dass es viele unveröffentlichte Texte gibt: "Jugendsünden vor allem. Diese zu publizieren, ist nur in einer historisch-kritischen Gesamtausgabe sinnvoll."

Hemecker und Österle entschlossen sich jedoch, die Geschichte von einem greisen Dichter unter Schnitzlers Arbeitstitel Später Ruhm als Leseausgabe herauszugeben: "Sie ist mit Blick auf Jung-Wien die mit Abstand interessanteste größere Arbeit. Die Novelle hat bereits den Schnitzler-Ton." Die Herausgeber verschweigen aber nicht, dass Hermann Bahr den Text kritisch sah.

Schnitzler wollte die Novelle in dessen Zeitschrift Die Zeit publizieren. Bahr meinte, dass eine "Zerstückelung in etwa acht Partien" den Text "um jede Wirkung bringen würde": Da er einige Längen und eine gewisse Schwere hätte, schlug Bahr vor, sie "auf ein Drittel zu kürzen". Hemecker hingegen meint, dass sich darüber streiten lasse: Schnitzler las die Novelle Hofmannsthal, Beer-Hofmann, Salten drei Stunden lang vor - und sie "gefiel sehr gut", wie er im Tagebuch notierte. "Aus heutiger Sicht macht gerade die latente Melancholie den Reiz des Textes aus", so Hemecker. (Thomas Trenkler, DER STANDARD, 15.5.2014)