Der kleine Ort im Wiener Speckgürtel, in dem ich aufgewachsen bin, galt in den 1970er-Jahren als Gastarbeitergemeinde - wegen der Fabrik am Ortsrand, die damals viele (und vor allem billige) Arbeitskräfte brauchte. Es waren hauptsächlich Türken mit ihren Ehefrauen und Kindern, welche die hässlichen Werkswohnhäuser nächst der Fabrik bezogen - was die meisten im Ort nicht daran hinderte, die Neuankömmlinge als "Tschusch'n" zu bezeichnen, mit denen man lieber nichts zu tun hatte. Abgesehen von gelegentlichen Raufereien zwischen den Buben auf der Gemeindewiese hatten wir mit den "Türkenkindern" nichts zu tun. Im Bus saßen sie vorne, wir hinten. Sie besuchten die Volksschule im Ort, wir die katholische Privatschule am Stadtrand - weil unsere Mütter und Väter fürchteten, in der Dorfschule könnten wir Deutsch verlernen.

Es wäre billig, das unseren Eltern heute vorzuwerfen. Die Sorge war berechtigt. Die "Gäste", die man eingeladen hatte, zu kommen und ihren Beitrag zu unser aller Wohlstandsmehrung zu leisten, wurden de facto sich selbst überlassen: Begleitlehrer, individuelle Förderung bei Sprachproblemen, gar Bestrebungen der Gemeinschaft, die Neuen zu integrieren? Fehlanzeige. Weil sich niemand richtig um die "Türkenkinder" kümmerte, landeten sie zumeist in der Hauptschule (oft sogar B-Zug), wir dagegen fast alle im Gymnasium.

Der Begriff "Gastarbeiter" ist auch deshalb ein haarsträubender Euphemismus, weil wohl kein privater Gastgeber seine Gäste so schlecht - oder besser: gar nicht - behandeln würde. Nur bei "den Jugoslawen" und "den Türken" machte man gerne - und oft - eine Ausnahme. Heute ist "Gastarbeiter" längst verpönt, man spricht von Migranten, etwas vage von der "multikulturellen Gesellschaft", und alle tun so, als sei nur ein wenig mehr Bildungs- und Integrationswille vonnöten - und schon wäre alles perfekt.

Die Realität ist eine andere: Das Mehr an Integrationsbemühungen, das zumindest in den vergangenen 15 bis 20 Jahren zweifellos stattgefunden hat, führte nicht zu einem Mehr an Akzeptanz. Das Klima ist noch rauer geworden, einerseits als Ausdruck dubioser Ängste in einer globalisierten, unberechenbar gewordenen Welt - andererseits aber auch gezielt geschürt von verantwortungslosen Politikern, denen der kurzfristige Wahlerfolg stets wichtiger war als "die Menschen", für die sie vorgaben, Politik zu machen.

Etwa ein Drittel der Berufstätigen mit Migrationshintergrund ist unter seinem Qualifikationsniveau eingesetzt; die Erwerbsquote, vor allem der türkischstämmigen Bevölkerung und vor allem der Frauen, ist erschreckend niedrig und sinkt weiter; Türkisch als Muttersprache wird bei Bewerbungen äußerst selten als Fremdsprache anerkannt - und auch honoriert. Kein Wunder, dass viele diese Kenntnis nicht einmal angeben. Noch krasser ist die Situation für Frauen, die Kopftuch tragen. Eine hochrangige Bankerin erzählte kürzlich, in ihrem Konzern gebe es gerade einmal eine Telefonistin mit Kopftuch - und für die habe die Personalchefin ein halbes Jahr kämpfen müssen, obwohl sie klar die Beste unter allen Bewerbern war. Die Erklärung: "Der Chef will das nicht."

Das alles klingt deprimierend, ist es auch. Dennoch ist das 50-Jahr-Jubiläum ein Grund zu feiern: weil die Menschen, die sich für Österreich entschieden haben, gekommen sind, um zu bleiben. Weil wir ohne sie in jeder Hinsicht viel, viel ärmer wären. (Petra Stuiber, DER STANDARD, 15.5.2014)