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Der Triumph von Kopenhagen: Conchita Wurst wird von einem Meer rot-weiß-roter Fahnen umweht.

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Stefan Petzner: "Ich wünsche Dir Erfolg, Conchita!" 

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Eine glitzernde Spülwelle voll knallbunter Farben, die ein Land überrollte, wo das Grau der Einförmigkeit und Einfältigkeit wieder überhandnimmt - das war der Sieg von Conchita Wurst beim Eurovision Song Contest für Österreich. Kein Wunder, dass der siegestrunkene Jubel keine Grenzen kannte.

Aber nun ist es Zeit auszunüchtern und festzumachen, wo die wahren Profiteure der längst auf maximale Betriebsfähigkeit angeworfenen Wurstverarbeitungsmaschine zu finden sind. Am wenigsten ist das wohl Conchita Wurst selbst. Leider. Dafür reicht ein Blick zurück. Denn so gänzlich neu ist das Siegeskonzept der Conchita Wurst nicht.

Geringe Wirkung

Im Jahr 1998 trat die stimmgewaltige transsexuelle Sängerin "Dana International" als Mann in Frauenkleidern für Israel in den Song-Contest-Ring. Ihr Auftritt und ihre Teilnahme polarisierten und spalteten vorab, nicht anders als der ebenso stimmgewaltige homosexuelle Thomas Neuwirth als Conchita Wurst mit Bart und Frauenkleidern. Das Ergebnis war dasselbe. Wie "Dana International" 1998 für Israel - übrigens auch damals bereits größtenteils mit der Beteiligung von Tele-Voting - siegte sechzehn Jahre später Conchita Wurst überlegen für Österreich.

Damals wie heute feierten Medien und Öffentlichkeit diesen Sieg als ein Votum Europas für Toleranz, Freiheit und gegen Diskriminierung. Dass dazwischen aber ganze sechzehn Jahre liegen, in denen es genau in diesen Bereichen in Ländern wie Wladimir Putins Russland oder Viktor Orbáns Ungarn zu massiven Verschlechterungen kam, Jubel und Euphorie von Medien und Öffentlichkeit aber wie ein Abziehbild von vor sechzehn Jahren sind, zeigt die real geringe Wirkung und Nachhaltigkeit eines solchen Einzelereignisses.

Was wurde aus Dana?

Was aber wurde aus "Dana International"? Aus der auch ihr damals prophezeiten Weltkarriere wurde ebenso nichts wie aus ihrem Beitrag "Diva" ein Hit in Europa, sodass sie sich genötigt sah, 2011 erneut für Israel beim Wettsingen anzutreten. Sie scheiterte bereits im Halbfinale. Gerade weil ich Conchita Wurst die von ihr angestrebte Weltkarriere von Herzen wünsche, sei ihr "Dana International" als warnendes Beispiel genannt. Längst vorbei sind die Zeiten, in denen Song-Contest-Siege Weltkarrieren begründeten. Das gilt erst recht für musikalische Konzeptkünstler.

Für diese eine Nacht hat das künstlerische Gesamtkonzept Conchita Wurst Europa überzeugt. Wenn Conchita Wurst klug ist - und ihre wortgewandten Interviews nach ihrem Sieg lassen darauf schließen -, dann wird sie nun für alle Zeiten die Finger vom Song Contest lassen. Zu eindimensional und schmal ist die von Thomas Neuwirth kreierte Kunstfigur Conchita Wurst, zu groß damit die Gefahr, sich rasch an ihr sattzusehen und zu fadisieren. Um ein zweites Mal beim Song Contest zu reüssieren, vielmehr aber noch den erhofften überregionalen, dauerhaften Erfolg zu generieren, muss die Figur aber zulegen.

Kein Zweifel: Innerhalb Österreichs wird Conchita Wurst mit ihrem historischen Sieg dauerhaft Ruhm und Ehre vergönnt sein, um aber weltweit Karriere zu machen und tatsächlich den von ihr angepeilten "Grammy" zu gewinnen, wird es nötig sein, die Kunstfigur Conchita Wurst weiter zu entwickeln, facettenreicher, wandelbarer und vielschichtiger zu machen, um das launenhafte und wankelmütige Publikum immer wieder aufs Neue zu überraschen und in ihren Bann zu ziehen. Das Potenzial dazu ist zweifellos vorhanden. Ich wünsche es dir, Conchita!

Der wahre Hauptprofiteur dieses Song-Contest-Sieges aber ist Österreich. Lange ist es her, dass es europaweit, ja sogar weltweit positive Schlagzeilen machte. Süß und verführerisch, aber zugleich auch verdammt trügerisch ist der erzeugte Eindruck, den Österreich plötzlich in der Welt als ein Hort von Offenheit und Toleranz macht.

"Die Wärmsten der Warmen"

Doch sind wir das wirklich, wenn in unserem Land der Obmann jener Partei, die Anlauf nimmt, die Stimmenstärkste zu werden, im Bierzelt die Worte "Wir sind für die Ärmsten der Armen, statt die Wärmsten der Warmen!" in die verschwitzte Menge brüllt und dafür feixendes Gejohle und lautstarken Applaus erntet, während der Rest des Landes es achselzuckend zur Kenntnis nimmt? Tatsächlich ist in Sachen Abbau von Vorurteilen und Diskriminierung hierzulande noch viel zu tun.

Das große Verdienst der Conchita Wurst ist, dass sich dieses Land, im Speziellen die ÖVP, nun der dringend nötigen Debatte über die gänzliche Gleichstellung von Homosexuellen stellen muss. Der Sieg von Wurst ist ein Auftrag dazu, ein Anstoß, weiter für Freiheit und Toleranz und gegen Diskriminierung zu kämpfen - aber sicher kein Beweis für die Verfestigung dieser Werte in breiten Teilen der Bevölkerung. Denn wie schlecht es um diese Werte tatsächlich bestellt ist, wird sich bald zeigen.

Queen of Europe

Am 25. Mai, dem Tag der EU-Wahl, wo die selben europäischen Bürger, die Conchita Wurst zur "Queen of Europe" gewählt haben, in Scharen für Parteien stimmen werden, die für das fundamentale Gegenteil der von Wurst postulierten europäischen Idealvorstellung stehen: vom Front National in Frankreich über die Austrittsbewegung des Nigel Farage in Großbritannien bis hin zur FPÖ in Österreich. Schnell werden wir so auf den harten Boden der gesellschaftspolitischen Realitäten zurückgeholt werden.

Wer noch massiv vom Sieg der Conchita Wurst profitieren wird, im Unterschied zu Österreich aber völlig zu Recht, ist der ORF. Nach 48 langen Jahren wieder den Song Contest zu gewinnen, ist nämlich auch zu einem beträchtlichen Teil ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz zuzuschreiben. Waren er und der ORF es doch, die allen Unkenrufen zum Trotz entschieden haben, Conchita Wurst als Vertreterin Österreichs zum Song Contest zu entsenden. Nicht nur, aber auch wegen dieser mutigen und letztlich goldrichtigen Entscheidung hat sich Alexander Wrabetz eine Wiederbestellung zum ORF-Generaldirektor verdient.

Kommendes Jahr, beim sechzigjährigen Jubiläum des Eurovision Song Contest, wird es auch der ORF sein, der als produzierende Fernsehanstalt vor fast 300 Millionen Zuschauern in ganz Europa sein ganzes Können zeigen kann. Wer den ORF kennt, der weiß, dass er die Ressourcen und die Kreativität hat, einen perfekt inszenierten TV-Event abzuliefern.

Großes Fragezeichen

Über alledem schwebt nur ein großes Fragezeichen: Gelingt es, dass diverse Landesfürsten wie der Putin von St. Pölten und die Parteisoldaten im ORF-Stiftungsrat ihre schmutzigen Finger vom Song Contest lassen, und vermeiden sie es, dem ORF mit Zurufen ins Handwerk zu pfuschen? Das längst begonnene politische Gefeilsche um den Austragungsort lässt Schlimmes befürchten. Dabei gäbe es für die heimische Politik genug zu tun: Nämlich dafür zu sorgen, dass dieses Land tatsächlich jenes weltoffene, tolerante und liberale Land wird, als das es Conchita sei Dank derzeit in Europa gesehen wird. Ein Jahr haben wir nun dafür Zeit. (Stefan Petzner, DER STANDARD, 17.5.2014)