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Carla Bley
foto: Archiv Jazz Saalfelden
Wien - "Ich bin keine große Planerin oder Denkerin. Oft setze ich einfach etwas aufs Notenpapier und werde mir eigentlich erst im Nachhinein über die inneren Beweggründe klar." Carla Bley muss in Interviews zurzeit regelmäßig auf die Bremse treten. Nämlich dann, wenn man auf ihr neues Album zu sprechen kommt - Looking For America heißt das mit ihrer Bigband eingespielte Objekt journalistischer Begierde.

Von diesem Produkt muss Carla Bley, die nunmehr 65-jährige Grande Dame unter den JazzkomponistInnen, immer wieder sagen, dass es an sich auf der unschuldigen Idee basiert, "ein amerikanisches Album zu machen, weil ich dachte, dass dieses Land viel Musik hervorgebracht hat: Jazz, die lateinamerikanische Stilvielfalt - das alles kam aus Nord- und Südamerika. Die politische Dimension wurde mir wirklich erst bewusst, als die Musik schon eingespielt war."

Seltsame Zeiten

Tja, es sind schon seltsame Zeiten, in denen Bearbeitungen harmloser Kinderlieder wie Old MacDonald Had A Farm mit dem US-Verteidigungsminister Rumsfeld assoziiert und Kompositionen mit mexikanischem Touch als klingende Sympathiebekundungen gegenüber illegalen Grenzgängern gedeutet werden. Während es weniger überrascht, dass gewitzte Dekonstruktionen der US-Nationalhymne, wie sie auf Looking For America zu finden sind, als Projektionsfläche für politische Amerika-Kritik funktionalisiert werden.

Obwohl: Es ging Bley auch da nur darum, das Stück "sangbarer zu machen und ihm interessantere Harmonien zu verpassen". Für eine Frau wie Bley, die in den 60ern gemeinsam mit dem Österreicher Michael Mantler und der Jazz Composers Orchestra Association und später mit dem Watt-Works-Label - letztlich erfolgreich - nach Unabhängigkeit vom musikindustriellen Establishment strebte, war allerdings bald klar: Die vor allem in Europa ausgeprägte Tendenz zur politischen Deutung ihrer Musik berührte durchaus ihre eigenen Gedanken.

Sie versteht, dass Amerika nicht so einfach bloß als ein Land musikalischer Kulturleistungen gesehen werden kann, sondern - zugespitzt formuliert - als "kulturloser, übergewichtiger Haufen mit einem Cowboy als Präsidenten. Vielleicht bin ich auf der Suche nach jener Zeit, als ich mich noch glücklich fühlte, in diesem Land geboren worden zu sein."

Es sei natürlich ein Glücksfall, etwas zu erarbeiten, womit man - wenn auch in überraschender Weise - den Nerv der Zeit treffe. Bewusste politische Statements hält Carla Bley indessen für problematisch, denn: "Steht ein Durakkord für eine bestimmte Politik eines Landes und ein Mollakkord für eine andere? Es ist völlig unmöglich, nur mit Musik ein Thema zu verhandeln. Es wird immer nur ein Haufen Noten sein!"

Carla Bley fand andere Wege, die unbeabsichtigte Botschaft im Zuge der CD-Produktion doch selbst subtil zu akzentuieren: Etwa mit dem Foto einer Aufschrift an einer Hauswand, mit der sie ins Schwarze der Furcht vor einem christlich-fundamentalistischen US-Unilateralismus trifft: "Jesus is right - are you left?", steht dort zu lesen. Auf der Suche befindet sich Carla Bley auch sonntags beim Jazzfest in Saalfelden, wo ihr neues Quartett mit Andy Sheppard (Saxofon), Steve Swallow (Bass) und Billy Drummond (Schlagzeug) seine Bühnenpremiere erleben wird.

Dabei dürfte sie selbst vorführen, dass Akkorde bei aller Abstraktion womöglich doch keine gleichsam willenlosen, jedweder Interpretation gegenüber offenen Gebilde darstellen:

"Lost Chords" heißt jene Formation, inspiriert von einer Komposition des offenbar zu Recht vergessenen englischen Komponisten Sir Arthur Bliss, dessen Klavierkomposition Lost Chord Bley in frühen Jugendtagen enttäuscht zu Seite legte: "Das Stück wies tatsächlich keinen einzigen interessanten Akkord auf. Also ist es das Konzept meines aktuellen Quartetts, Harmonien zu finden, die spannend sind, die anders sind. Es geht gleichsam um Akkorde, die aus der Reihe tanzen." (Andreas Felber, DER STANDARD, Print-Ausgabe vom 26.8.2003)