Bei Bärbel Schäfer gingen die Wellen hoch: "Hilfe, mein Mann schminkt sich", war das Talkshow-Thema, und das Unbehagen war groß: "Der verschwitzte Kosmetikmuffel von einst als deodorierter Beauty-Junkie?" Das kann doch nicht sein: Seit Jahrhunderten, ja seit Jahrtausenden gilt das Thema als abgehakt. Männer und Schminke, das ist seit dem alten Ägypten, als sich Männer wie Frauen gleichermaßen schminkten, im besten Fall ein Fall für die Unterhaltungsindustrie. Im Normalfall aber einer für die Pathologie. Wer gegen das Beauty-Regime verstößt, den bestraft die Geschichte. Die weißgepuderten Herren aus dem Rokoko mit ihren stolzen Perücken und den rotbemalten Bäckchen, sie stehen heute nicht mehr hoch im Kurs. Effeminiert lautet das landläufige Diktum gegen die Ausreißer, effeminiert, das heißt fast so viel wie degeneriert, wie "nicht-männlich" - und natürlich wie schwul.

Foto: Gaultier

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Neben dem Rasierschaum die Anti-Faltencreme, neben dem Deostick der Kajalstift? No way! Außer man bekennt sich offensiv zu einem Leben in Pink. Und das ist nicht erst seit heute schwierig: Liest man in Ovids Werk zur "Liebeskunst", seiner "Ars amatoria", das Kapitel über "Make-up", so wird man sich wundern. Ein Drittel des Textes handelt zwar tatsächlich von antiken Kosmetikkünsten, die restlichen zwei Drittel verwendet der römische Dichter allerdings darauf, seine Geschlechtsgenossen vor den Verzückungen der Kosmetikindustrie zu warnen: Ja, meinte Ovid, Schminken ist sogar noch unmännlicher als Frisieren. Seine Überzeugung: "Die vernachlässigte Schönheit passt zu den Männern."

Foto: Reuters/Rose Prouser

Womit Ovid wohl nicht rechnete, waren und sind die Dandys dieser Welt, die es irgendwann einfach nur mehr lästig fanden, klammheimlich in die Puderdose der Angetrauten zu langen und sich an deren Produkten zu vergreifen. Falls sie - anderweitig ist die Angelegenheit noch verzwickter - denn überhaupt eine Angetraute haben. Jean Paul Gaultier hat keine, und auch ansonsten hat der französische Modemacher etwas andere Vorstellungen von dem, was einen Mann ausmacht: "Männlichkeit sitzt im Kopf", sagt er. Also darf man den Kopf auch ruhig ein wenig verschönern. Sei es mit mattierendem Bronze-Puder oder farblosem Gloss, sei es mit Kajalstift und Concealer oder mit diversen Lipsticks.

Foto: Universal

"Le male Tout beau tout propre" nennt Gaultier seine Schmink- und Pflegeserie für den Mann: ein neuerlicher Angriff auf die beileibe schon ziemlich malträtierte Grenze zwischen den Geschlechtern (nicht zuletzt durch Gaultiers Modekreationen) - und eine Premiere, denn abseits der landläufigen Pflegeprodukte herrscht in Sachen männliches Make-up ein Markt-Vakuum. "Kein Bedarf", sagt Daniela Weis, PR-Zuständige für Estée Lauder, und Elisabeth Hotter für L'Oréal stimmt zu. Doch Bedarf ist immer so eine Sache. Welcher Mann erkundigt sich schon gerne in der Parfümerie nach dem neuesten Männer-Make-up? Lieber nimmt man im Drogeriemarkt anonym ein Döschen mit. "Für meine Frau", wie der verlegene Einkäufer dann der Verkäuferin versichern kann.

Foto: Filmarchiv Austria

Dem hat Gaultier vorgebaut. Wenn schon Schönheitsprodukte für Männer, dann zumindest im männerkompatiblen Design. Also schaut der Make-up-Pinsel einem Rasierpinsel zum Verwechseln ähnlich und kommt die Gesichtsemulsion im Zippo-Design daher: damit ja niemand Verdacht schöpfen kann. Der Kajal- und Abdeckstift (in einem) ist kaum von einem Kugelschreiber zu unterscheiden, der Nagelpflege-Stift ähnelt einem Textmarker. Man darf sich die zukünftige Verwendungsweise der Gaultierschen Herren-Produkte also in etwa so vorstellen: Lässig stecken die Stifte in der Anzugtasche des Bürohengsts, lässig greift der stattliche Mann zum Marker - und bestreicht seine Nägel. Oder wie es der Pressetext im Falle des Puders so schön formuliert: "Das mattierende Sonnenkonzentrat wird in einer männlichen Geste mit dem Pinsel aufgetragen."

Gleichberechtigung also von hinten aufgezäumt. Nachdem die Reservate der Männerwelt in den vergangenen Jahrzehnten so ziemlich alle gefallen sind, starten die unter Druck geratenen Herren jetzt einen letzten, ziemlich verzweifelten Gegenangriff - indem sie das, was bisher beinahe ausschließlich Frauen vorbehalten war, unter ihre Fittiche bringen. Noch allerdings traut man sich nicht recht, noch betont man die "männliche Geste" dabei. Auch das wird sich geben. (Der Standard/rondo/hil/29/8/2003)