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Trotz deutscher und französischer Budgetdefizite erklärte EU-Kommissar Solbes den Stabilitätspakt für quicklebendig

Foto: REUTERS/Yves Herman
STANDARD: Österreich war früher ein starker Fürsprecher des Stabilitätspakts. Nun hat die Regierung das Ziel des ausgeglichenen Haushalts aufgegeben. Verlieren Sie Verbündete?

Solbes: Wir haben die österreichische Regierung dafür kritisiert. Ich denke aber doch, dass im Prinzip alle Finanzminister Verbündete des Pakts sind.

STANDARD: In Österreich war 2002 das Budgetdefizit mit 0,2 Prozent sehr niedrig - die Wachstumsrate aber auch. Hätte Österreich nicht mehr Investitionen tätigen sollen?

Solbes: In diesem und im nächsten Jahr wird das österreichische Defizit aber höher liegen, 2005 bei 1,5 Prozent. Es gibt einen gewissen Spielraum, um das Ziel des ausgeglichenen Haushalts herum. Wir müssen aber sehr vorsichtig sein. Keinesfalls darf die Gefahr entstehen, die Dreiprozenthürde zu brechen.

STANDARD: Die Kommission hat von Österreich Steuersenkungen gefordert. Sollte Wien nicht aber die Steuerreform von 2005 auf 2004 vorziehen, um der Wirtschaft mehr Impulse zu geben?

Solbes: Steuersenkungen könnten in der Tat nützlich sein. Was den Zeitpunkt betrifft, sind wir als Kommission aber neutral. Wichtig ist für uns vor allem, dass Steuersenkungen mit einer Reduzierung der Staatsausgaben ausgeglichen werden müssen. Die war aus dem Stabilitätsprogramm der österreichischen Regierung aber nicht ausreichend ersichtlich.

STANDARD: Hat Österreich genug strukturelle Reformen in Angriff genommen?

Solbes: Die Reform der Pensionssysteme war nötig - es war eine mutige Reform. Ich weiß, das war nicht einfach angesichts der öffentlichen Meinung. Auch der Arbeitsmarkt benötigt Reformen: Wir brauchen eine höhere Beschäftigungsquote. Mehr Frauen und Ältere müssen arbeiten. Frühpensionierungen haben negative Auswirkungen. Im Dienstleistungssektor ist die Erleichterung des Zugangs zu den freien Berufen und die Öffnung des Einzelhandelssektors nötig.

STANDARD: Die Konjunkturzahlen für die EU bleiben düster. Was erwarten Sie?

Solbes: Wir alle sind beim Blick auf die Zahlen ein wenig besorgt: Sie sind in der Tat nicht gut. Ich bin aber weiter optimistisch, was das zweite Halbjahr betrifft.

STANDARD: Könnte nicht eine Erhöhung der Staatsausgaben bei der Überwindung der Wachstumsschwäche helfen? Wirkt der Stabilitätspakt hier nicht wie eine Zwangsjacke?

Solbes: Man muss hier zwischen den Staaten unterscheiden, die schon einen nahezu ausgeglichenen Haushalt erreicht haben und den anderen. Erstere könnten in gewissem Maße die Ausgaben erhöhen, das kann unter Umständen nützlich sein - solange die automatischen Stabilisatoren Anwendung finden. Unsere Erfahrung ist aber, dass die Länder mit höheren Defiziten zugleich auch ein niedrigeres Wachstum aufweisen. Strukturreformen sind in jedem Fall die bessere Lösung.

STANDARD: Frankreichs Premier Jean-Pierre Raffarin war diese Woche in Brüssel. Hat er gesagt, ob Paris 2004 im dritten Jahr in Folge beim Budgetdefizit die Dreiprozentgrenze des Stabilitätspakts verletzt?

Solbes: Er war da eher vage und äußerte sich nicht präzise genug zu den endgültigen Budgetzahlen für 2004. Aber er hat sich klar zur Konsolidierung bekannt und dazu, das strukturelle Defizit 2004 um 0,5 Prozentpunkte zu senken.

STANDARD: Meinen Sie, dass sich Paris nun an den Pakt halten will und ihn nicht weiter - wie zuweilen Finanzminister Francis Mer - in Frage stellt?

Solbes: Ich denke, Francis Mer versucht sein Bestes, um sich an die Empfehlungen zu halten. Es stimmt, dass die Zahlen für dieses Jahr wohl schlechter werden, als wir erwartet hatten. Es ist zwar zu früh etwas über das Budget 2004 zu sagen. Aber angesichts der Wachstumsentwicklung und der Entwicklung des Defizits in diesem Jahr, sind wir jetzt mehr in Sorge als vor einigen Monaten.

STANDARD: Sehen sie da einen Unterschied zu Deutschland?

Solbes: Ich möchte nicht vergleichen. Es stimmt aber, dass die deutsche Regierung viele Anstrengungen unternimmt, 2004 unter die drei Prozent zu kommen. Dennoch verfolgen wir die Situation mit Interesse und einer gewissen Sorge.

STANDARD: Die großen Eurostaaten Deutschland, Frankreich und Italien haben Probleme mit den Defiziten. Stellt das nicht den Pakt in Frage?

Solbes : Nein! Wir müssen unterscheiden: Wird der Pakt selbst diskutiert oder geht es um die Einhaltung seiner Vorgaben? Die Vorschriften selbst stehen nicht zur Debatte: Der Pakt lebt. Für die Kommission ist klar: Wir wenden den Pakt an. Und das bedeutet, dass wir am Ende gegebenen Falls auch Sanktionen verhängen müssen. Aber es ist noch zu früh, über Bußgelder zu sprechen. (DER STANDARD Printausgabe, 29.8.2003)