Diskussionsbeiträge zu Gehrers Kindermangelbeseitigungsinitiative - zur Alltagsrealität der von der Regierung angeblich so geförderten Entscheidungsfreiheit zwischen Beruf und Familie.

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In der laufenden Debatte über die Wertigkeit von Lebensentwürfen droht ein - von der ÖVP sonst so gern propagiertes Schlagwort - bislang gänzlich unterzugehen: Warum scheuen sich konservative PolitikerInnen gerade jetzt, ihr "bestechendes" Konzept von der "Wahlfreiheit" ins Treffen zu führen?

Zur Klarstellung: Es geht hier nicht um das Wahlrecht, sondern um die Frage, dass es Frauen freistehen soll, sich ausschließlich ihren "Mutterpflichten" zu widmen oder auch erwerbstätig zu sein. Die Frauen sollen "frei" zwischen zwei vermeintlich gleichwertigen Optionen wählen können. Für Männer sind Beruf und Familie offenbar grundsätzlich vereinbar.

Ein kurzer Blick in den Alltag zeigt, wie lebensfremd dieser Ansatz ist: Mangels flächendeckender und qualitätsvoller Kinderbetreuung bleibt "frau" in acht von neun Bundesländern meist nur die Wahl, ob sie zuerst Windeln wechselt und dann kocht oder umgekehrt. Und das Kindergeld hat an dieser Realität nichts geändert: Laut Wifo sind vor dessen Einführung österreichweit noch knapp 54 Prozent der Frauen spätestens 27 Monate nach dem Geburtstermin wieder ins Erwerbsleben zurückgekehrt, seit der Umstellung auf das Kindergeld sind es nur noch 35 %.

In der Sackgasse

Die Verlängerung der möglichen Dauer des Leistungsbezugs hat dazu geführt, dass sich Frauen für längere Zeit aus dem Erwerbsleben zurückziehen und erst später erkennen, welche fatalen Folgen das für sie hat: Je länger der Ausstieg aus dem Beruf, desto schwieriger gestaltet sich der Wiedereinstieg - auch weil der Anspruch auf das Kindergeld über die Zeit des Kündigungsschutzes hinausgeht.

Die Absenz vom Arbeitsmarkt vergrößert die Abhängigkeit vom (meist männlichen) Lebenspartner. Die Frauen verlieren ihre Eigenständigkeit, ihnen fehlen Versicherungszeiten und damit Pensionsansprüche. Die konservative "Wahlfreiheit" hat sie - aufgrund der niedrigen Zuverdienstgrenzen, mangelnder Kinderbetreuungseinrichtungen und Unterstützung beim Wiedereinstieg - in eine Sackgasse gedrängt. Und da schließt sich der Kreis zur laufenden Debatte - die Formel "Je mehr Hausfrauen, desto mehr Kinder" stimmt - laut Bevölkerungswissenschafter Rainer Münz - schon lange nicht mehr, sondern genau das Gegenteil: Beispiele aus anderen Ländern wie Frankreich oder Schweden zeigen, dass Geburtenraten nicht durch längeren Kindergeldbezug, Steuern auf Kondome, Bußgelder für Kinderlose und oberlehrerhafte Rüffel gesteigert werden, sondern allein durch Maßnahmen, die Eltern die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ermöglichen.

Wien ist anders

Dazu zählen im Wesentlichen ganztägige Betreuungsformen, wie sie in Österreich derzeit nur in Wien ausreichend angeboten werden. Nur in diesem Bundesland gibt es nämlich für 57 Prozent aller bis Dreijährigen und für 96,57 % aller Drei- bis Sechsjährigen einen Betreuungsplatz. Die soziale Staffelung der Tarife in Wiener Einrichtungen bedingt, dass nur ein Drittel der Eltern den vollen Beitrag bezahlt und zwei Drittel reduziert oder gar nichts bezahlen. Alle Schulkinder, deren Eltern eine ganztägige Betreuung wünschen, werden betreut. Im Gegensatz dazu steht beispielsweise Niederösterreich, wo nur acht Prozent der unter Sechsjährigen ganztägig untergebracht sind.

Apropos "Wahlfreiheit" - die gibt es tatsächlich: Es steht jedem Menschen frei, seine ganz persönliche, individuelle Vorstellung von Glück zu entwickeln und zu verwirklichen - die Zahl möglicher Lebensentwürfe ist heute erfreulicherweise vielfältiger denn je. Die Anzahl von Kindern ist jedenfalls nicht der Maßstab für die Bewertung von Lebenskonzepten! (DER STANDARD, Printausgabe, 2.9.2003)